Klarere Positionierung verlangt Wachsende Zweifel an Deutschland in EU und Nato

Brüssel · In den ersten Wochen im Amt hat das Agieren der neuen Ampel-Regierung in der Ukraine-Krise bei den Partnern in Brüssel massive Bedenken aufkommen lassen. Vor allem Vertreter kleinerer Länder erwarten eine viel stärkere Positionierung Deutschlands gegen Russland und für die Ukraine.

 Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Januar im Kanzleramt.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Januar im Kanzleramt.

Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Die Bilder könnten unterschiedlicher nicht sein. 2014 ein zupackender deutscher Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der mit viel Elan und Einsatz die blutigen Unruhen auf dem Maidan in Kiew beenden hilft, der ukrainischen Reformbewegung klar macht, wie sehr Deutschland an ihrer Seite steht. 2022 dagegen ein ukrainischer Botschafter, der als „nicht mal ein Trostpflaster“ bezeichnet, was die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht zuvor als „ganz deutliches Signal“ zu kennzeichnen versuchte: Der Ukraine statt gewünschter 100.000 nur fünftausend Helme zu liefern. Von Panzerabwehrwaffen ganz zu schweigen. Damit hatte Deutschland die Kurden im Irak im Kampf gegen den IS ausgerüstet. Doch jetzt will die Ampel-Regierung nur mit Dingen aushelfen, die „nicht letalen“ Charakter haben. Vitali Klitschko, der für seine Partei vor acht Jahren das von Steinmeier ausgehandelte Abkommen unterschrieb, ätzt heute: „Was will Deutschland als nächstes zur Unterstützung liefern? Kopfkissen?“

Auf den Fluren des Nato-Hauptquartiers in Brüssel ist ein Drei-Worte-Begriff auf dem besten Weg, sich zu verselbstständigen und sich ausgerechnet in der größten Herausforderung für das Bündnis von der Frage zur Feststellung zu entwickeln: „Zweifel an Deutschland“. Zweifel an einem Deutschland, das in der Rotation mit anderen Nato-Partnern Luftpatrouillen über dem Baltikum fliegt, um potenzielle russische Aggression abzuschrecken. Zweifel an einem Deutschland, das unter dem Eindruck der Krim-Annexion und des Umsteuerns der Nato-Aufstellung seine eigenen Streitkräfte mit zweistelligen Milliardenbeträgen zur gepanzerten Bündnisverteidigung umbaut. Zweifel an einem Deutschland, das größte Anstrengungen unternimmt, um regelmäßig Präsenz in der Nato-Speerspitze, in Nato-Manövern und Reserven für Eingreiftruppen demonstrieren zu können. Wie konnte sich der Eindruck von Deutschlands Verlässlichkeit nur so schnell wandeln?

Vor allem aus Polen werden die Zweifel forciert. Der liberale polnische Europa-Abgeordnete und ehemalige polnische Außenminister Radek Sikorski erinnert in einem „Spiegel“-Gastbeitrag an seine in der Finanzkrise gefundene Formulierung, er fürchte sich nicht vor deutscher Macht und deutschem Einfluss, sondern  mehr vor deutscher Untätigkeit. Dieses Mal gebe es zwar wieder eine Krise, doch von Untätigkeit der Deutschen könne nicht die Rede sein, wenn es um den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 gehe. Allerdings fügt er hinzu: „Untätig sind sie gegenüber einem demokratischen Uno-Mitgliedsstaat, dem eine russische Invasion droht, der Ukraine.“

In der S&D-Fraktion, der sozialdemokratischen Allianz im Europa-Parlament, überwiegt noch die Hoffnung, dass Bundeskanzler Olaf Scholz es schon richtig mache und hinter den Kulissen den Pfad zur Deeskalation bereite. Es sei eben Teil erfolgreicher Diplomatie, in wichtigen Phasen vor allem öffentlich nicht sichtbar zu sein. Die Annahme ist verbreitet, dass die Regierung Scholz Deutschland in eine Vermittlerrolle steuere, um auch im Konfliktfall Verständigungen und Lösungen zu finden. Aufmerksam wird in diesem Zusammenhang die Ankündigung einer „neuen Ostpolitik im Rahmen der EU“ von Scholz in Kombination mit dem klaren Auftreten seiner Außenministerin Annalena Baerbock in Moskau analysiert.

Doch als Vermittler positioniert sich zeitgleich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Und zwar mit umgekehrten Vorzeichen. Er findet nichts dabei, auch als Nato-Mitglied russische Flugabwehrtechnik zu kaufen und gleichzeitig der Ukraine bewaffnete Drohnen zu liefern. Deshalb war die türkische Fahne mit im Saal des ukrainischen Parlamentes, als die dortigen Abgeordneten in einer weltweit beachteten Aktion „Flagge zeigten“ - nämlich die Flaggen derjenigen, die die Ukraine in der Krise unterstützten. Neben der türkischen war unter anderem die ungarische, die tschechische, die kanadische, die amerikanische, die britische und die dänische zu sehen. Die deutsche fehlte.

Ein anderer Europa-Abgeordneter schildert die Aufregung in Finnland, als bekannt wurde, dass Deutschland Estland daran hindert, Artillerie aus Beständen der früheren Nationalen Volksarmee der DDR zu liefern: „Wir haben unsere eigene Geschichte mit Blick auf eine kleine und nicht gut ausgerüstete Armee im Angesicht einer Bedrohung von außen“, erläutert Petri Sarvamaa (61) von der finnischen Sammlungspartei, der in Brüssel die Kooperation EU-Russland mit verantwortet. Aus finnischer Sicht sollte Deutschland die neue Nord-Stream-Pipeline auf Eis legen, wenn die Ukraine-Krise weiter eskaliere. Das habe das EU-Parlament bereits im Zusammenhang mit der Verhaftung des Putin-Kritikers Alexej Nawalny verlangt.

Er hoffe aufrichtig, dass Deutschland in naher Zukunft Verantwortung übernehme und gegenüber Putins Russland eine „viel klarere und stärkere Position“ einnehme  „Das braucht der Rest Europas jetzt von Deutschland“, macht der Finne klar.

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