Neuausrichtung der CDU Warum die Sorge vor einem Rechtsruck der Union umgeht

Analyse | Berlin · Seit dem Wahldebakel am 26. September sucht die Union nach Orientierung. Und es geht die Sorge um, dass die Partei angesichts des drohenden Bedeutungsverlusts nach rechts abbiegen könnte. Einige warnen vor einer solchen Entwicklung. Andere heizen die Debatte kräftig an.

 Friedrich Merz, Anwärter für den CDU-Vorsitz, beim Deutschlandtag neben Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union: Beide gelten als Vertreter des konservativen Teils der Union.

Friedrich Merz, Anwärter für den CDU-Vorsitz, beim Deutschlandtag neben Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union: Beide gelten als Vertreter des konservativen Teils der Union.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Union ist nicht erst seit dem Debakel vom 26. September auf der Suche nach sich selbst. Doch seit die Partei bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr, tritt die Orientierungslosigkeit noch offener in Erscheinung als zuvor. In der Partei ist nun häufig von „Erneuerung“, „Modernisierung“ oder der Rückbesinnung auf den eigenen „Markenkern“ die Rede. Wie man diese Worthülsen in Taten übersetzt, konnte bisher aber kaum einer klar sagen.

Und so kursiert der Verdacht, innerhalb wie außerhalb der Partei, die Erneuerung könnte mit einer Verschiebung nach rechts verbunden sein. Die Union wäre nicht die erste konservative Partei in Europa, die auf den drohenden Bedeutungsverlust mit einem Rechtsruck reagieren würde. Nach 16 Jahren Angela Merkel, die die CDU nach links geführt hat, wäre eine Gegenbewegung eingeläutet. Ein rechtsgerichteter Neuanfang also? Für die einen ist der Gedanke mit Grauen verbunden, andere hingegen sehnen sich nach mehr konservativer Kantigkeit.

Den Sorgenvollen verlieh Annegret Kramp-Karrenbauer kürzlich eine Stimme. „Zu glauben, das Heil der CDU liege in einer Rechtsverschiebung, lässt außer Acht, dass wir bei dieser Bundestagswahl nicht an die AfD verloren haben“, sagte die Ex-Parteichefin und Noch-Verteidigungsministerin. Und es ignoriere die Beispiele aus Frankreich und Italien, wo der Verlust von Macht „zu dieser fatalen Rechtsverschiebung“ geführt habe. Ähnliche Töne schlug Noch-Parteichef Armin Laschet bei seiner Abschiedsrede als Ministerpräsident an. Dine Partei dürfe in der Opposition nicht der Versuchung erliegen, „Ressentiments zu schüren, Hass zu schüren“, sagte Laschet. Auch wenn er seine Rede im Düsseldorfer Landtag hielt, klang es doch wie eine Mahnung in Richtung Bundesebene.

Doch es gibt auch die anderen in der Partei, die anheizen und polarisieren. So nannte Fraktionschef Ralph Brinkhaus das Sondierungsergebnis von SPD, Grünen und FDP die „strammste Linksagenda“ seit Jahrzehnten. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer polterte mit Blick auf die Flucht über Belarus nach Polen: „Wir brauchen Zäune und wir brauchen vermutlich auch Mauern.“ Die EU müsse ihre „Wehrhaftigkeit“ beweisen.

Angesichts dieser Sätze zieht die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl einen Vergleich zum früheren US-Präsidenten Donald Trump. „Diese Forderung von Michael Kretschmer nach Zäunen und Grenzen an der EU-Außengrenze ist nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt, vor einer Menschenmenge ,Build the Wall‘ zu schreien. Er nutzt das Asyl- und Migrationsthema, um bewusst zu emotionalisieren“, sagt Strobl. Das thematische Feld, das Kretschmer hier bediene, habe die extrem Rechte seit vielen Jahren aufbereitet. Im September erschien Strobls viel diskutiertes Buch „Radikalisierter Konservatismus“, in dem sie neben Trumps Einfluss auch die Entwicklung der ÖVP unter Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Sie selbst ist Mitglied der SPÖ.

Mit Blick auf Deutschland sagt Strobl: „Es ist schon eine ganze Weile zu beobachten, dass es ein Spektrum innerhalb der Union gibt, das genau darauf hinwirkt. Dazu gehören etwa die Junge Union, die WerteUnion und deren unklare Rolle in der Partei und natürlich das ganze Theater rund um Hans-Georg Maaßen im Wahlkampf.“ Auch Friedrich Merz, der sich für seine dritte Kandidatur für den Parteivorsitz warmläuft, hat sich aus Strobls Sicht immer wieder als „konservativer Gegenspieler“ in Stellung gebracht. Merz soll im Hintergrund bereits für eine Teamlösung mit Gesundheitsminister Jens Spahn und Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann werben. Gerade den Konservativen in der Partei dürfte diese Konstellation gefallen.

Es ist das Wolf-im-Schafspelz-Prinzip, das die Rechtsextremismusforscherin für gefährlich hält: Eine konservative Partei wirkt in bürgerliche Milieus hinein und hat eine größere Breitenwirkung. „Nach außen versammelt man sich unter dem Deckmantel der Volkspartei, die damit aber der Radikalisierung einen Nährboden bietet“, sagt Strobl.

Zu jenen Erscheinungen, die auf radikalisiert-konservative Tendenzen in der Union hinweisen, gehört „The Republic“. Die neue Kampagnenagentur tritt im Netz mit angriffslustigen Thesen auf, stemmt sich gegen den „politischen Linksdrift“ oder gegen „Gender-Ideologie“. Ihr Geschäftsführer Armin Petschner-Multari war früher Social-Media-Leiter der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Man will gezielt Aufregung und Reichweite im Netz produzieren, um Einfluss zu gewinnen, vorbei an etablierten Parteigremien.  In der Partei ist das Echo geteilt. Friedrich Merz etwa zeigte Sympathie für die Initiative. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dorbindt, zu dessen Mitarbeitern Initiator Petschner-Multari immerhin gehörte, wollte zuletzt noch nichts von „The Republic“ gesehen haben.

Stattdessen betont Dobrindt, dass man sich als „bürgerliches Korrektiv“ gegenüber den  Ampel-Parteien begreift. „Die Union bleibt in der Mitte der Gesellschaft“, sagt der CSU-Politiker. Man wolle „Tradition und Fortschritt, Laptop und Lederhose“ zusammenbringen. „Die Union braucht keine Richtungsdebatte“, findet Dobrindt. Der CSU steckt die Erfahrung von 2018 in den Knochen. In der Migrationsdebatte hatten die Christsozialen versucht, der AfD mit scharfen Tönen Konkurrenz zu machen - und wurde bei der Landtagswahl ordentlich abgestraft.

Doch die Richtungsdebatte ist in vollem Gang. Ausgang offen. Feststeht aber schon, dass ein Wegducken den Streit nicht lösen wird. Es dürfte nur den Lautesten nutzen.

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