Notbremse von Christian Lindner Was der Haushaltsstopp bedeutet
Berlin · Als Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds hat das Bundesfinanzministerium eine Sperre für weite Teile des Bundeshaushalts verhängt. Was der Schritt alles umfasst und welche Auswirkungen das hat.
Es ist ein bemerkenswerter und weitreichender Schritt, den Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am späten Montagabend ging. Sein Staatssekretär Werner Gatzer teilte per Rundschreiben an das Kanzleramt und alle Bundesministerien mit, dass es eine Ausgabensperre „mit sofortiger Wirkung“ gebe. Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Notbremse und ihren Folgen.
Warum hat das Finanzministerium einen Ausgabenstopp verhängt?
In seinem Brief schreibt Finanzstaatssekretär Gatzer, dass sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichts „für den Bundeshaushalt die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage“ ergebe. Gatzer begründet die sofortige Sperre des nahezu gesamten Haushalts, „um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden“. Die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen wurden also für den Fall vorsorglich gesperrt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf ältere Rücklagen in anderen Sondervermögen anzuwenden ist.
Was umfasst die Notbremse und was nicht?
Aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums hieß es am Dienstagmorgen, man stoppe Verpflichtungsermächtigungen in 2023. Eine Verpflichtungsermächtigung gibt beispielsweise Ministerien und anderen Teilen der Verwaltung die Möglichkeit, bei mehrjährigen Vorhaben Zahlungsverpflichtungen für kommende Jahre einzugehen. Im Haus von Christian Lindner (FDP) wurde betont, dass bestehende Verbindlichkeiten weiter eingehalten würden. Es dürften jedoch keine neuen eingegangen werden. Übersetzt bedeutet das, dass alle Finanzzusagen des Bundes für die Zukunft gesperrt wurden, bereits laufende jedoch weiter bezahlt werden. Mit der neusten Sperre dürfen also die für 2023 geplanten Mittel weiter ausgegeben werden. Doch die Ministerien dürfen keine Versprechen für 2024, 2025 und 2026 mehr machen. Nicht betroffen von der Sperre sind die Etats für den Bundestag, den Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht.
Welche konkreten Folgen hat die Notbremse nun für das Regierungshandeln?
Ab sofort müssen alle Ministerien, die trotz der Sperre Finanzzusagen für die kommenden Jahre machen wollen, dies beim Finanzressort vorlegen und begründen. Dabei werde „ein besonders strenger Maßstab an den Nachweis eines solchen Bedarfes“ angelegt, heißt es im Schreiben von Finanzstaatssekretär Gatzer.
Welche Reaktionen gibt es bislang aus anderen Ministerien?
Das vom Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium, das auch maßgeblich vom Stopp des Klimatransformationsfonds betroffen ist, hat die vom Finanzministerium verfügte Haushaltssperre für den Bundeshaushalt begrüßt. „Der Schritt entspricht der Notwendigkeit der Situation“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Damit würden weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre vermieden. „Das ist in der jetzigen Situation richtig“, sagte die Sprecherin. „Die Bundesregierung arbeitet intensiv an Lösungen.“ Im Finanzministerium betonte man, es handele sich nicht um einen Alleingang von Ressortchef Christian Lindner. Der Schritt sei abgestimmt gewesen in der Bundesregierung.
Wie geht es nun weiter?
Nun soll rasch geklärt werden, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf ältere Rücklagen in anderen Sondervermögen anzuwenden ist. Verfassungsjuristen beraten dazu die Bundesregierung. Zudem gibt es an diesem Dienstag im Haushaltsausschuss eine Anhörung von Sachverständigen. Sollten sie zu dem Schluss kommen, dass auch ältere Rücklagen betroffen sind, hätte die Bundesregierung ein noch viel größeres Problem als bisher angenommen. Denn es fehlten dann nicht nur 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte und die Modernisierung der Wirtschaft. Man hätte dann auch Milliarden an Euro bereits ausgegeben, die man gar nicht hätte haben dürfen. Zudem steht der riesige, mit 200 Milliarden Euro gefüllte Wirtschafts-stabilisierungsfonds (WSF) auf der Kippe. Das könnte für die Regierung noch viel problematischer sein als die Klima-Milliarden, denn allein in diesem Jahr wurden nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium 67 Milliarden Euro an WSF-Krediten ausgezahlt. Rund 103 Milliarden hätten nach den Plänen des Finanzministeriums ins kommende Jahr übertragen werden sollen. Dass aus dem Fonds gewährte Hilfen zurückgezahlt werden müssen, ist jedoch unwahrscheinlich. Sie wurden schließlich gesetzlich beschlossen – die Finanzierung ist Sache von Bund und Ländern.
Welche weiteren Sondervermögen hat der Bund überhaupt?
Einer Aufstellung des Bundesrechnungshofs zufolge unterhält der Bund aktuell 29 Sondervermögen. Diese Nebenhaushalte sind keine Erfindung der Ampel-Regierung: Das älteste stammt aus dem Jahr 1951 und förderte den Bau von Wohnungen für Bergarbeiter. Es gibt zum Beispiel auch Fonds zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben, einen Binnenschifffahrtsfonds, ein Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen und eins für digitale Infrastruktur. Die neuesten Sondervermögen sind Wirtschaftshilfen wegen der Corona-Krise, Aufbauhilfen für Flutopfer, der 100 Milliarden Euro schwere Sondertopf für die Bundeswehr und der Topf für die Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Könnten alle vom Karlsruher Urteil betroffen sein?
Nein, denn das Bundesverfassungsgericht äußerte sich nur zu schuldenfinanzierten Sondervermögen. Viele von ihnen werden aber aus Einnahmen gespeist. Auch das von der Ampel-Koalition eingesetzte Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro ist nach bisheriger Auffassung der Regieurng nicht vom Urteil betroffen. Grund ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankerte.
Was hat die Debatte um die Schuldenbremse mit der aktuellen Lage zu tun?
Um die Finanzzusagen für die kommenden Jahre halten zu können, plädieren SPD und Grüne für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse. Mit Blick auf das Erklären einer sogenannten Haushaltsnotlage sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Dienstag im ZDF: „Wenn die SPD alleine regieren würde, dann wäre das sicherlich etwas, was wir tun würden, und auch nicht aus Trickserei, sondern weil die Notlage objektiv gegeben ist.“ Darüber werde in der Koalition gesprochen. Bislang hält FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an der Einhaltung der Schuldenbremse fest.