Coronavirus Merkel wirbt für Bundesbremse

Berlin · Erste Lesung im Bundestag: Opposition macht massiv Front gegen geplante Infektionsschutznovelle – die SPD ein bisschen.

 Der Deutsche Bundestag  befasst sich in erster Lesung mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

Der Deutsche Bundestag  befasst sich in erster Lesung mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Der Bundestag hat am Freitag erstmals über die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes debattiert. Dabei warb die Kanzlerin persönlich für die darin verankerte bundeseinheitliche „Notbremse“ zur Bekämpfung der Pandemie. Gegenwind kam nicht nur von der Opposition, sondern auch von der SPD.

Um kurz vor neun Uhr war Angela Merkel schon an ihrem Platz im Bundestag. Normalerweise redet die Kanzlerin im Plenum nur dann, wenn es um eine Regierungserklärung geht, oder die Einbringung des Bundeshaushalts. Doch die Zeiten sind nicht normal. Auf der Tageordnung stand zwar „nur“ die erste Lesung der Änderungen zum Infektionsschutzgesetz. Aber die Vorlage hat die Gemüter selbst im Regierungslager in Wallung gebracht. Merkels eigene Juristen halten den Plan teilweise für problematisch. Und aus der SPD wurde schon vor Tagen der Ruf nach Korrekturen laut.

Die Kanzlerin indes mahnte im Plenum eine schnelle Beschlussfassung an. „Jeder Tag früher, an dem die Notbremse bundesweit angewandt ist, ist ein gewonnener Tag.“ Die Lage sei „sehr ernst“, betonte sie mit Verweis auf die immer lauter werdenden „Notrufe“ der Intensivmediziner. Nach deren Informationen gibt es bereits wieder 4740 Covid-19-Intensivpatienten. Das ist der höchste Stand seit Ende Januar. Und nur noch 3804 Intensivbetten seien in den Kliniken frei.

Dem Gesetzentwurf zufolge soll der Bund mehr Macht bekommen, um „eine bundesweit einheitliche Steuerung des Infektionsschutzes zu gewährleisten“.

Der Vorstoß ist Merkels Reaktion auf die unterschiedliche Praxis in den Ländern und das Debakel nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz, als die Kanzlerin die dort vereinbarte „Osterruhe“ wegen praktischer Undurchführbarkeit wieder kippen musste. Überschreitet in Landkreisen oder kreisfreien Städten an drei Tagen in Folge die Anzahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner den Schwellenwert von 100, dann soll der Bund ab dem übernächsten Tag zum Beispiel zusätzliche private Kontakteinschränkungen sowie eine Ausgangssperre zwischen 21 und fünf Uhr des Folgetages anordnen dürfen. Es gibt aber Ausnahmen. Die Ausgangssperre gilt nicht, wenn etwa jemand in dieser Zeit zur Arbeit muss, den Hund Gassi führt oder seinem Sorgerecht gegenüber den Kindern nachkommt. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts liegen – Stand Freitag – fast 85 Prozent der Kreise über dem Schwellenwert von 100. Damit hätte der Bund ein nahezu flächendeckendes Durchgriffsrecht.

Trotz der Ausnahmen ist die Ausgangsbeschränkung besonders umstritten.

Das wurde auch in der Bundestagsdebatte deutlich. Während Merkel für diese Maßnahme mit dem Hinweis warb, dass es nicht darum gehe, den Aufenthalt im Freien zu verhindern, sondern darum, abendliche Kontakte auch unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu reduzieren, stellten Redner der Opposition die Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme infrage. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sprach von Angriffen auf die Grund- und Freiheitsrechte. FDP-Chef Christian Lindner drohte gar mit einer Verfassungsbeschwerde. Wenn die Regierung entsprechende Bedenken nicht ausräume, müsse man diesen Weg gehen, so Lindner. Einem bundeseinheitlichen Handeln sagte er aber grundsätzlich seine Unterstützung zu.

Auch von der SPD wurden die Bedenken bekräftigt. Ihr Rechtsexperte Johannes Fechner forderte weitere Ausnahmen von der Ausgangsperre. So müssten nach 21 Uhr auch noch Sport oder das Spaziergehen im Freien möglich bleiben. Und SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese forderte ein größeres parlamentarisches Mitbestimmungsrecht. Laut Gesetzentwurf gilt die Zustimmung des Bundestages zu Restriktionen, die die Bundesregierung per Rechtsverordnung erlässt, als erteilt, wenn er binnen sieben Tagen keine Einwände erhebt. Wiese bemängelte diese „Widerspruchslösung“ als unzureichend. Vielmehr brauche es eine Zustimmung des Parlaments.

Ursprünglich wollte die Bundesregierung das Gesetzesverfahren schon in dieser Woche abschließen. Doch wegen der Änderungswünsche ist damit erst in den kommenden sieben Tagen zu rechnen. Nach einer noch am Freitag veranstalteten Expertenanhörung sollen am Montag die Fachausschüsse den Gesetzentwurf beraten. Die Schlussabstimmung des Bundestages ist für Mittwoch vorgesehen. Danach muss sich der Bundesrat in einer Sondersitzung damit befassen. Auch das könnte noch für Zündstoff sorgen.

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