Afghanistan 7000 Kilometer mit dem Citroën DS ins Land der Paschtunen

Mit einem Citroën DS bis in die afghanische Hauptstadt Kabul. Für die Eltern unseres Redakteurs war das 1974 eine 7.000 Kilometer lange Abenteuerreise. Was sie dabei erlebten.

 „Die Göttliche“ – abgeleitet aus dem Französischen „La Déesse“ – machte unterwegs immer mal wieder Probleme. Hier steht der Wagen auf einer Rampe in der Nähe der osttürkischen Stadt Erzincan.

„Die Göttliche“ – abgeleitet aus dem Französischen „La Déesse“ – machte unterwegs immer mal wieder Probleme. Hier steht der Wagen auf einer Rampe in der Nähe der osttürkischen Stadt Erzincan.

Foto: Archiv Alexander Schumitz

Willy Brandt (1913-1992) stürzt am 6. Mai 1974 als Bundeskanzler über die Guillaume-Affäre. Die deutsche Wirtschaft leidet unter den Folgen der Ölkrise – die Arbeitslosenquote, die Sozialausgaben und die Staatsausgaben steigen. Die schwedische Popband Abba gewinnt mit „Waterloo“ den Vorgängerwettbewerb des „Eurovision Song Con­test“. Der VW Golf löst den VW Käfer ab. Der FC Bayern München wird deutscher Fußballmeister und gewinnt das Finale um den Europapokal der Landesmeister. Die Nationalmannschaft wird mit einem 2:1-Sieg über die Niederlande Fußball-Weltmeister.

In Afghanistan regiert seit 1973 Sardar Mohammed Daoud Khan (1909-1978). Er hatte sich ein Jahr zuvor an die Macht geputscht. In einem Reisebericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus dieser Zeit liest man das Versprechen, dass aus einer „Studienreise nach Afghanistan ein Abenteuer“ werde. Und  zu dieser Abenteuerreise brechen meine Eltern am 20. Juli 1974 auf. Mit dem Autozug geht es zunächst von Düsseldorf nach Ljubljana (Slowenien). Weiter fahren sie mit dem Citroën DS meines Vaters über den „Autoput“ – die „Gastarbeiterroute“ verbindet Mitteleuropa mit Südosteuropa und gilt jahrzehntelang als eine der gefährlichsten Straßen Europas – nach Bulgarien. Von dort führt der Weg über die 1973 eröffnete „Erste Bosporus-Brücke“ (heute: „Brücke der Märtyrer des 15. Juli“) in Istanbul. Weiter geht es über Ankara, die persische Grenzstadt Maku, Teheran nach Maschhad – die zweitgrößte Stadt im Iran und ein wichtiges religiöses Zentrum. Nach rund drei Wochen kommen meine Eltern in Afghanistan an. Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Herat geht es weiter in die afghanische Hauptstadt Kabul.

Dort versagt dann – wenn ich mich an die Erzählungen meiner Eltern richtig erinnere – eine Zylinderkopfdichtung. In Kabul gab es aber immerhin eine Citroën-Werkstatt. Inhaber ist Abdul S.. Da die Lieferung der benötigten Ersatzteile für die Reparatur jedoch Wochen dauern würde, stellt er sich selbst an die Werkbank und fräst das fehlende Originalteil nach. Etwa zwei Wochen später ist das Auto repariert.

Die Zeit dazwischen nutzen die Abenteurer, um die Umgebung der afghanischen Hauptstadt zu entdecken. Sie reisen ins Bamiyan-Tal, wo sie die im März 2001 auf Anordnung des Taliban-Führers Mullah Mohammed Omar (1960-2013) gesprengten Buddhastatuen und weitere Sehenswürdigkeiten besichtigen. Sie besuchen die Kutschi – Nomaden, die meist dem Volk der Paschtunen angehören. Dann geht es für meine Eltern wieder im Auto zurück nach Hamm (Nordrhein-Westfalen), wo die Reise am 20. September 1974 endet.

Rund vier Jahre später steht mittags ein Mann bei uns vor der Haustür, der nur Französisch spricht. Es ist Abdul S.. Er flüchtet nach der sogenannten „Sauerrevolution“ – bei der im April 1978 Staatspräsident Sardar Mohammed Daoud Khan von den Putschisten ermordet wurde – zunächst ohne seine Familie aus seinem Heimatland.

Seinem Asylantrag wird stattgegeben. Er reist circa 1981/82 – nachdem die sowjetische Armee im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert ist – nach Pakistan und findet Frau und Kinder in einem Flüchtlingslager in Peschawar. In einer abenteuerlichen Reise gelingt der Familie die Flucht nach Deutschland. Abdul S. lebt jahrelang bei uns im Haus. Meine Eltern und die Familie S. sind bis zum Tod meiner Eltern freundschaftlich verbunden. Leider ist der Kontakt zwischenzeitlich erloschen.

Für meine Eltern war die Tour nach Afghanistan nur eine von zahlreichen Abenteuerreisen durch Europa und Asien. Ihr Blick auf das Land war – so würde ich das heute beschreiben – romantisch verklärt.

Selten haben sie sich um die gesellschaftlichen Probleme ihres Reiseziels gekümmert; egal, ob die Reise ins von Francisco Franco (1892-1975) regierte Spanien oder nach Griechenland, wo der Diktator Georgios Papadopoulos (1919-1999) das Sagen hatte, ging. Aber sie haben immer den Kontakt zu den Menschen an ihren Reisezielen gesucht, sich zur Not auch mit Händen und Füßen mit ihnen verständigt. Sie haben Freundschaften geschlossen, die oft über den Urlaub hinaus hielten. Und sie haben diese Freunde – auch finanziell – unterstützt, wenn sie es für nötig hielten.

 Abdul S. mit seiner Frau und seinem ältesten Sohn 1974 in der afghanischen Hauptstadt: Er hat in seiner Werkstatt den Citroën DS der Abenteurer repariert.

Abdul S. mit seiner Frau und seinem ältesten Sohn 1974 in der afghanischen Hauptstadt: Er hat in seiner Werkstatt den Citroën DS der Abenteurer repariert.

Foto: Archiv Alexander Schumitz
 Rettung in der Not: Eine Vertragswerkstatt in Kabul.

Rettung in der Not: Eine Vertragswerkstatt in Kabul.

Foto: Archiv Alexander Schumitz
 Kutschi sind Nomaden. 
 Sie gehören 
 hauptsächlich dem Volk  
 der Paschtunen an.  
 Heute sagt man ihnen  
 einen besondere Nähe  
 zu den Taliban nach.

Kutschi sind Nomaden. Sie gehören hauptsächlich dem Volk der Paschtunen an. Heute sagt man ihnen einen besondere Nähe zu den Taliban nach.

Foto: Archiv Alexander Schumitz
 Eines der Ziele der Reise nach Afghanistan war der Besuch des Tales von Bamiyan mit seinen beiden in Nischen stehenden Buddhastatuen. Sie gehörten zum Weltkulturerbe und wurden von den Taliban im Jahr 2001 zerstört.

Eines der Ziele der Reise nach Afghanistan war der Besuch des Tales von Bamiyan mit seinen beiden in Nischen stehenden Buddhastatuen. Sie gehörten zum Weltkulturerbe und wurden von den Taliban im Jahr 2001 zerstört.

Foto: Wikipedia/Schweizer Nationalbibliothek/Schweizer Nationalbibliothek


PS: Auf den Vorwurf der Verwandtschaft, dass sich durch diesen Trip die Einschulung von mir um ein Jahr verzögern würde, entgegneten meine Eltern: „Der spielt so gerne. Er kann ruhig noch ein weiteres Jahr in den Kindergarten gehen.“

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