Wirtschaft Wirtschaft sucht Chancen in der Krise

Trier · Trotz meist voller Auftragsbücher mehrt sich die Angst in der regionalen Wirtschaft vor einer tiefgreifenden Rezession. Dabei tun sich auch jetzt Möglichkeiten auf. Warum Betriebe und Verbraucher vorerst aber Nervenstärke brauchen.

 Kauffrust statt Konsumlust: Im Handel sind die Erwartungen für die kommenden Monate besonders schlecht. Hier macht sich die hohe Inflationsrate bemerkbar.

Kauffrust statt Konsumlust: Im Handel sind die Erwartungen für die kommenden Monate besonders schlecht. Hier macht sich die hohe Inflationsrate bemerkbar.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute warnen seit Monaten: Deutschland bewegt sich mit großen Schritten auf eine tiefe Rezession zu. Auch in den regionalen Konjunkturprognosen der beiden Wirtschaftskammern von Handwerk, Industrie, Dienstleistung und Handel ist das Thema nun angekommen. „Bei den Geschäftserwartungen für die kommenden zwölf Monate haben wir die schlechtesten Werte seit der Aufzeichnung in 20 Jahren“, sagt Jan Glockauer, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Trier. Besonders „abgeschmiert“ ist laut Chefökonom Matthias Schmitt die Industrie und der Handel mit neuen Allzeittiefs. Allerdings muss man auf Details schauen:

Was ist das Problem?

Schaut man sich die aktuelle Lage der Konjunktur in der Region an, sieht es gar nicht mal so übel aus: 83 Prozent der Betriebe aus Industrie, Handel und Dienstleistung sowie gut 84 Prozent im Handwerk sehen ihre aktuelle Geschäftslage als optimistisch oder zumindest befriedigend an. Fast die Hälfte der Betriebe in der Industrie hat zuletzt steigende Umsätze verzeichnet: „Die Maschinen stehen nicht still, vier von zehn Industriebetrieben sind noch überdurchschnittlich ausgelastet“, sagt IHK-Chefvolkswirt Matthias Schmitt. Deutschlandweit hätten die Unternehmen sogar noch ein Auftragspolster von rund acht Monaten, in der Region Trier etwas weniger, weil hier eher verstärkt Konsumgüter der Nahrungsmittelindustrie produziert würden, die schneller umgesetzt seien.

Im Handwerk geben aktuell drei von vier befragten Betrieben eine Auslastung von über 70 Prozent an – mit einer Reichweite von mehr als 13 Wochen. „Ohne Lieferengpässe und mit weniger als den aktuell 2000 offenen Stellen könnten die Aufträge noch schneller abgearbeitet werden“, ist Matthias Schwalbach, Geschäftsführer der Handwerkskammer Trier, überzeugt.

Dennoch schlagen die beiden regionalen Wirtschaftskammern Alarm: „Die Angst vor der Zukunft so so groß wie noch nie“, stellt Schwalbach fest. Das Phänomen habe sich bislang sogar selbst verstärkt, indem einzelne Handwerker bereits von ersten Auftragsstornierungen durch Verbraucher sprächen. „Dadurch wird die Verunsicherung konkrete Realität.“ Trotz der guten Lage verschärfe sich die Lage, weil die einzelnen Krisen aus steigenden Preisen, Kriegsfolgen, Lieferengpässen und Inflation sich gegenseitig verstärkten und überlappten, so der HWK-Experte.

In Industrie, Handel und Dienstleistung ist es sogar noch schlimmer, so dass die IHK bereits von „Alarmstimmung“ spricht. Liegt der Konjunkturklimaindex im langjährigen Mittel bei 120 Punkten, ist er derzeit auf 67 Punkte nahezu halbiert. „Eine nie zuvor gesehene Talfahrt“, befindet Glockauer.

Was wäre die Lösung?

„Wir brauchen Tempo beim Ausbau des Energieangebots, der Gas- und Strompreisbremse, der Senkung der Gasnachfrage und der Energiesteuern“, fordert IHK-Chef Jan Glockauer nun die richtige Weichenstellung. Deshalb sei dies nicht die „Ruhe nach dem Sturm, sondern vor dem Sturm.“ Je eher sich die Politik festlege, desto schneller und besser könnten die Unternehmen fürs kommende Jahr kalkulieren: „Liegt der Energiepreis doppelt so hoch wie jetzt, ist das leistbar, aber ohne eine Festlegung ist keine Kalkulation möglich.“

Und sein Chefvolkswirt Schmitt analysiert: „Es ist im Moment sehr viel Verunsicherung im Markt, weil niemand weiß, wie es genau weitergeht. Das heißt aber auch, dass es weniger schlimm kommen kann, wenn die Krise gut ge­managt wird.“ Deshalb stehen die Energie- und Rohstoffpreise auch bei 82 Prozent der IHK-Betriebe bei den Risiken an oberster Stelle, gefolgt von den Folgen des Ukraine-Kriegs und dem Fachkräftemangel. Folglich wollen die meisten Unternehmen ihre Beschäftigten halten.

Was zunächst etwas unlogisch erscheint, hat seinen plausiblen Grund: Im Handwerk reagieren viele Betriebe jetzt in der Krise mit Investitionen – zur Rationalisierung. Weil sie Energie sparen müssen und weil sie mit weniger Mitarbeitern mindestens so effizient wie aktuell produzieren müssen, geben sie Geld für neue Maschinen und Technik aus: Fast die Hälfte (45 Prozent) der Handwerksbetriebe in der Region Trier hat immerhin rund 40.000 Euro dafür in die Hand genommen.

 

Was sind die Perspektiven?

„Das Handwerk wird nicht auf eine tiefe Rezession zugehen. Es steht stabil in der Krise“, ist HWK-Geschäftsführer Matthias Schwalbach überzeugt. Er sehe auch keine Insolvenzwelle, sondern eher zögerliche und zurückhaltende Betriebe, die meist zur Übergabe anstünden. „Die müssen sich bald entscheiden, ob sie dem Nachfolger hohe Kosten übergeben oder den Betrieb einstellen.“ Denn Preissteigerungen im Handwerk seinen absehbar.

Auch die IHK sieht keine Insolvenzwelle in Industrie oder Handel auf die Region zurollen. Denn laut Konjunkturexperte Schmitt verzeichnen noch immer zwei Drittel der Betriebe keine negative Auswirkung der aktuellen Finanzlage auf sie selbst. „Allerdings könnte es eine Art Marktbereinigung geben, weil etwa im Handel oder der Gastronomie kleinere Betriebe ihr Geschäft einfach aufgeben“, sagt er.

Folglich hoffen die Kammern auf mehr politische und unternehmerische Klarheit. „Unsere Chance ist es, dass sich die negativen Erwartungen nicht in die Realität umsetzen“, sagt Matthias Schmitt. Er macht dies vor allem an seinem „Lieblings-Konjunkturindikator“ fest: Denn anhand der aktuellen Auftragseingänge, also den tatsächlich getätigten Bestellungen der Kunden, zeigt sich, dass sich die Dynamik in der regionalen Wirtschaft zwar verlangsamt hat, die Unternehmen sich aber „auf einer schwarzen Null und in einer Seitwärtsbewegung“, aufhalten. Auch hätten sich die Exporte stabilisiert, was neue Perspektiven schaffe.

Für den Winter sei nicht die Frage, ob es zur Rezession komme, sondern wie stark sie ausfällt, ist Matthias Schmitt überzeugt: „Das ist jedoch größtenteils psychologisch bedingt.“

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