Gesundheit Elf Impfungen für französische Babys

 Paris · Frankreich hat die Impfpflicht zum Jahresbeginn deutlich ausgeweitet. Damit reagiert die Regierung auf wachsende Skepsis in der Bevölkerung.

 Nur ein kleiner Piks – für Babys in Frankreich ist der jetzt Pflicht. Ohne Impfung kommen sie nicht in Kita oder Schule.

Nur ein kleiner Piks – für Babys in Frankreich ist der jetzt Pflicht. Ohne Impfung kommen sie nicht in Kita oder Schule.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Das Thema war so wichtig, dass Edouard Philippe es sogar in seiner ersten Regierungserklärung erwähnte: „Kinder sterben heutzutage in Frankreich an Masern. Im Heimatland von Pasteur ist das nicht hinnehmbar“, sagte der Premierminister am 4. Juli vor der Nationalversammlung. Genau deshalb erhöhte die Regierung zum 1. Januar die Zahl der Pflichtimpfungen für Neugeborene von drei auf elf. Nach Kinderlähmung, Tetanus und Diphtherie müssen Babys künftig auch gegen Masern, Mumps, Röteln, Hepatitis B, Keuchhusten, Meningokokken, Hämophilus Influenza B und Pneumokokken geimpft werden. Wer die nötigen Pikser nicht aufweist, darf nicht in Krippe, Kindergarten oder Schule gehen.

 Die deutliche Ausweitung der Impfpflicht ist die Reaktion auf eine Masernepidemie, die in den vergangenen Jahren das Land erfasste. Im Frühjahr 2017 wurden 189 Masernfälle gezählt – viermal so viele wie 2016. „Frankreich ist nicht vor einer neuen, großen Epidemie gefeit, wie sie derzeit in einigen europäischen Ländern, vor allem Rumänien, herrscht“, warnte die staatliche Gesundheitsbehörde. Sie zählte zwischen 2008 und 2016 insgesamt 24 000 Masern-Kranke, von denen rund 1500 Lungenkrankheiten bekamen und zehn starben.

 „Unerträglich“ fand das Gesundheitsministerin Agnès Buzyn. Sie kämpft mit der Ausweitung der Impfpflicht allerdings gegen große Vorurteile in der Bevölkerung, denn laut einer 2016 veröffentlichten Statistik der Zeitschrift „EBioMedicine“ ist Frankreich das Land, in dem das Misstrauen gegen Impfungen am größten ist. 41 Prozent der Franzosen halten die „Vaccins“ für nicht sicher. Der Grund: Schlecht geführte Impf-Kampagnen wie gegen Hepatitis B oder die Schweinegrippe sowie Medikamentenskandale wie um das Diabetes-Medikament Mediator.

 In den vergangenen Jahren stieg deshalb die Zahl der Impfgegner deutlich: nachdem ihr Anteil im Jahr 2000 noch bei 8,5 Prozent lag, waren es 2016 fast 25 Prozent. Die elf Pflichtimpfungen stoßen laut einer Umfrage der Zeitung „Figaro“ bei der Hälfte der Franzosen auf Widerstand. Zur Ikone der Impfgegner, der „Antivacs“, wurde die Schauspielerin Isabelle Adjani, die sich im Radio ihrer guten Gesundheit ohne Impfungen und Antibiotika rühmte. Zur Impfpflicht sagte sie: „Das ist ein Verbrechen gegen das Immunsystem und wird vielleicht in 20, 30, 40, 50 Jahren ein Verbrechen gegen die Menschheit genannt.“

 Gegen diese Kritik setzt die Medizinerin Buzyn auf Rationalität. „Jenseits der Impfung geht es um eine grundlegende Sache: der Vernunft wieder zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen, dem wissenschaftlichen Diskurs wieder seinen Sinn zu geben und gegen eine Art des Obskurantismus zu kämpfen“, begründete sie in der Zeitung „Libération“ ihr Engagement für einen besseren Impfschutz. Um beispielsweise eine Masern-Epidemie zu verhindern, müssen mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. In Frankreich sind es der Zeitung „Le Monde“ zufolge nur 79 Prozent der Schulanfänger – im Vergleich zu 93 Prozent in Deutschland, wo es keine Impfpflicht gibt. Besonders groß ist der Widerstand in der südlichen Archèche. Eine Umfrage der Geographin Lucia Guimier ergab dort vor drei Jahren, dass nur 38 Prozent der Eltern Vertrauen in Impfungen haben. Vor allem die Spritze gegen Masern, Mumps und Röteln wird abgelehnt. „Einige Eltern finden es natürlicher, die Krankheit zu durchleiden und so dagegen immun zu werden. Sie kennen die Gefahr des Virus nicht“, sagt die Ärztin Diana Pellet.

 Gegner, die die Impfpflicht juristisch hinterfragen wollen, sind allerdings zum Scheitern verurteilt. Der Verfassungsrat lehnte 2015 die Klage eines Paares ab, das seine Tochter nicht gegen Kinderlähmung, Tetanus und Diphtherie impfen lassen wollte. Es fürchtete die sogenannten Adjuvanzien, also Verstärkerstoffe wie Aluminiumverbindungen oder Quecksilber und pochte auf die Freiheit, über das Schicksal seiner Tochter selbst zu entscheiden. Doch das Verfassungsgericht befand: „Die Impfpolitik muss die Gesundheit des Einzelnen und der Gemeinschaft schützen.“

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