Was wäre, wenn es in Cattenom zur Katastrophe käme

Cattenom · Über 500 Zwischenfälle hat es zwischen 2002 bis 2011 im Kernkraftwerk Cattenom gegeben. Seit langem fordern daher Politiker und Bürger die Abschaltung der 30 Jahre alten Anlage. Hinzu kommt, dass Menschen rund um Cattenom im schlimmsten Fall bei einem Atomunfall weniger als 400 Euro Entschädigung erhalten würden.

29 Seiten umfasst die Auflistung der Pannen und Störfälle im Kernkraftwerk Cattenom allein von 2002 bis 2011. 538 "evenements significant" (bedeutende Ereignisse) sind dort genannt. 53 davon wurden auf der von Null bis Sieben gehenden Internationalen Störfallskala mit 1, der zweitniedrigsten Stufe, bewertet. Mit 1 werden Störungen und Abweichungen vom normalen Betrieb der Anlage eingestuft. Zwei der dort aufgelisteten Ereignisse wurden auf der Störfallskala mit 2 (Störfall mit begrenztem Ausfall von Sicherheitsvorkehrungen) bewertet. Die restlichen Zwischenfälle wurden mit 0 (Ereignis ohne oder mit geringer sicherheitstechnischer Bedeutung) eingestuft.

Ähnlich sieht es im gleichen Zeitraum bei dem Kernkraftwerk Fessenheim im Elsaß aus. Auf 26 Seiten sind dort 442 bedeutende Ereignisse aufgelistet, 48 davon der Kategeorie 1, zwei der Stufe 2. Auffallend jedoch bei der Auflistung der Pannen und Zwischenfälle durch die französische Atomaufsicht ASN: Nur für 2011 hat sie die Ereignisse bestimmten Reaktorblöcken zugeordnet. Eine Zuordnung der Ereignisse zu den einzelnen Reaktoren sei schwierig, heißt es in einem Brief der ASN aus dem Jahr 2012 an die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, den die Politikerin nun öffenttlich gemacht hat. "Diese Listen werden zu statistischen Zwecken erstellt und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit", heißt in dem Schreiben. Und weiter: "Die Häufigkeit der Vorfälle in den verschiedenen Reaktoren ist erfahrungsgemäß generell ausgeglichen."

Vor dem Hintergrund der vergangene Woche bekannt geworden Vertuschung eines Störfalls im Kernkraftwerk Fessenheim im April 2014 kritisiert Kotting-Uhl das Vorgehen der französischen Atomaufsicht scharf. Dieser Zwischenfall überrasche angesichts des Informationsdefizits bei der Atomaufsicht Frankreichs nicht wirklich. Dass die ASN nicht einmal einen vollständigen Überblick über die Zwischenfälle hat, spreche Bände, sagte die Politikerin unserer Zeitung. "Würde die ASN nicht beide Augen zudrücken, könnten Cattenom und Fessenheim gar nicht mehr laufen."

Und falls es dann tatsächlich mal zur Katastrophe kommen würde, stünden den in einem Radius von 100 Kilometer um Cattenom lebenden Menschen weniger als 400 Euro im schlimmsten Fall bei einem gravierenden Atomunfall zu. Das geht aus einer Anwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter auf eine Anfrage der Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl hervor. Demnach beträgt die Haftungssumme, die der Kraftwerksbetreiber, der französische Energiekonzern EDF, für jedes der 58 Atomkraftwerke zurückstellen muss, jeweils höchstens 700 Millionen Euro. Damit sollen Schäden nach Nuklearunfällen reguliert werden. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe leben derzeit in diesem 100-Kilometer-Radius 1,8 Millionen Menschen. Wenn alle diese Menschen Schadenersatz fordern würden, so Kotting-Uhl zu unserer Zeitung, erhielte jeder weniger als 400 Euro. Im gleichen Radius rund um das Kernkraftwerk Fessenheim leben demnach 2,1 Millionen Menschen.

Laut einer Studie der Sachverständigenorganisation der französischen Atomaufsicht beträgt das zu erwartende Schadensausmaß bei einer Atomkatastrophe über 150 Milliarden Euro. "Die Haftpflicht des Cattenom-Betreibers EDF ist verantwortungslos niedrig", kritisiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete. Dass die französische Atomhaftung mehr dem Insolvenzschutz von EDF als dem Opferschutz diene, sei "geradezu pervers". Kotting-Uhl: "Wir brauchen in Europa deutliche Verschärfungen für die Betreiber, mindestens 25 Milliarden Euro an Vorsorge und unbegrenzte Haftung. Andernfalls haben Opfer nur einen Entschädigungsanspruch im Promillebereich ihres tatsächlichen Schadens."

Kosten des Atomausstiegs: Wie teuer kommt der Atomausstieg in Deutschland den Steuerzahler? Das will der energiepolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Bernhard Braun, von der rheinland-pfälzischen Landesregierung wissen. Experten gingen für die Lagerung des Atommülls von Kosten zwischen 50 und 70 Milliarden Euro aus, sagt Braun. Die Atomkonzerne seien jedoch nicht bereit, diese zu tragen. "Die wahre Rechnung zeigt, Atomstrom ist für die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen teurer als das, was auf der Stromrechnung steht. Da sind die Folgen eines Katastrophenfalls noch gar nicht einberechnet", argumentiert Braun, der vom Land wissen will, wie hoch die zu erwartenden Belastungen für die Rheinland-Pfälzer durch den Abbau von Atomkraftwerken und das Lagern des Atommülls sind. Mehr zum Thema

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