Fälle aus der Region Sex-Anmache, Macho-Sprüche – womit Reiterinnen wegen ihres Sports zu kämpfen haben

Trier/Hunsrück/Sachsen-Anhalt · Reiten ist der Traum vieler Mädchen und junger Frauen. Für einige wird der Traum zum Alptraum, denn manche Männer bringen den Sport mit Sex in Verbindung und belästigen die Reiterinnen. Die wehren sich. Volksfreund-Recherchen zeigen: Auch Sportlerinnen in der Region sind betroffen.

 Reiten ist ein in Deutschland sehr beliebtes Hobby. Problematisch wird es, wenn Außenstehende die Reiterinnen mit zweideutigen Kommentaren belästigen. Recherche zeigt: Oft gehen die Kommentare über „dumme Sprüche“ hinaus.

Reiten ist ein in Deutschland sehr beliebtes Hobby. Problematisch wird es, wenn Außenstehende die Reiterinnen mit zweideutigen Kommentaren belästigen. Recherche zeigt: Oft gehen die Kommentare über „dumme Sprüche“ hinaus.

Foto: picture alliance / dpa/Hauke-Christian Dittrich

„Mir wurde geschrieben, als ich ein junges Mädchen war. Jemand fragte mich, was meine Lieblingsstellung sei. Dabei habe ich in diesem Alter nicht einmal daran gedacht. Seine Lieblingsstellung sei die Reiterstellung, sagte er und fragte, ob ich nicht mal auf ihm reiten will, da Reiterinnen ja einen guten Hüftschwung hätten. Ich hatte dadurch bei meinem ersten Freund sehr große Angst.“
Sabrina*, 18

Sabrina ist zwölf, als sie diese Nachrichten in sozialen Netzwerken erhält. Das, was ihr passiert ist, ist kein Einzelfall. Im Gegenteil. Regelmäßig werden Reiterinnen aufgrund ihres Sports mit sexuellen Anspielungen und Fragen konfrontiert. Wir haben uns in der regionalen Reit-Szene umgehört und herausgefunden, dass auch dort Reiterinnen betroffen sind. So etwa die 22-jährige Jule aus Malborn, die sich seit vielen Jahren Sprüche wie „von dir würde ich mich auch mal gerne auspeitschen lassen“ oder „Ich bin auch ein wilder Hengst, der gebändigt werden will“ anhören muss.

Oder Caro, 21, aus Bell (Hunsrück). Als sie mit 18 auf einer Geburtstagsfeier sitzt und ihr Hobby erwähnt, starren sie drei Jungs an und fragen, ob sie „nur auf Pferden oder auch auf Typen reite“. Als einer der Party-Besucher fragt, ob sie „ihren Lederkram und Peitschen“ auch an Männern ausprobiere, verlässt sie die Veranstaltung. Seitdem spricht sie auf Feiern mit Fremden nicht mehr über ihr Hobby.

Recherche im sozialen Netzwerk Jodel: Hier suchen wir nach Reiterinnen. Jodel ist ein Studentennetzwerk und ermöglicht es, anonym Kommentare zu schreiben. Auch hier werden sexuelle Anspielungen gemacht. „Warum liegt hier Stroh“ schreibt ein User in Anlehnung an einen Porno-Film. Ein anderer postet den Titel eines Songs, dessen Refrain heißt: „Diese Bitch (Schlampe) ist mein Pony“, und der darauf abzielt, Verbindungen zwischen Frauen und Pferden herzustellen. Die Jodel-Anonymität scheint die Kommentare zu befeuern.

Das kennt auch Lisa Marie Kreutz. Die 21-jährige Nachwuchsreiterin aus Sachsen-Anhalt postet regelmäßig Fotos von sich und ihrem Pferd Iceman im Netzwerk Instagram. Als Gegenleistung erntet sie sexistische Nachrichten. Nun spricht sie Klartext: „Das ist einfach ekelhaft“, sagt sie, „und es wird immer schlimmer.“ Die Gründe dafür seien mit den engen Reithosen und der Bewegung auf dem Pferd zwar offensichtlich, aber deswegen sei es „noch lange nicht okay“, den Reitsport zu sexualisieren. Außerdem sei das Problem flächendeckend: „Solche Nachrichten bekommen ausnahmslos alle Mädels die ich kenne, die mit Pferden zu tun haben.“

 Denken Sie bei diesem Bild an Sex? Einige Männer schon. Das zeigen Kommentare, die Lisa Marie Kreutz zu solchen Fotos erhält.

Denken Sie bei diesem Bild an Sex? Einige Männer schon. Das zeigen Kommentare, die Lisa Marie Kreutz zu solchen Fotos erhält.

Foto: Pegasus-Photographie, CSI Lier

„Mit 14 habe ich angefangen, Bilder und Videos aus meinem Reitalltag zu posten. Das ging gut, bis die ersten Nachrichten kamen, die sexuelle Belästigung beinhalteten. Das habe ich erst mal ignoriert. Dann ging es auch in der Schule los, dass von Jungs und auch Mädchen mehrfach sexuelle Begriffe in Zusammenhang mit meinem Hobby kamen. Daraufhin habe ich den Account gelöscht und über mein Hobby geschwiegen. Vor einem halben Jahr habe ich wieder angefangen Reitbilder zu posten, worauf ich mir Sprüche anhören musste wie: „Du kannst auch mal auf mir reiten“, „Reiterinnen sind viel besser im Bett, die haben jahrelange Erfahrung“.
Stefanie*, 18

Das sagt das Gesetz: Sexuelle Belästigung ist das, was Stefanie erlebt hat, nicht. Denn wie der Trierer Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen erklärt, kann es diese im Internet nicht geben: „Der Straftatbestand der sexuellen Belästigung  setzt voraus, dass der Täter eine andere Person körperlich berührt.“ Verbale Einwirkungen auf das Opfer – egal ob im Netz oder vor Ort – würden nicht erfasst. Das ist der Grund, warum es keine genauen Zahlen gibt, wie viele Reiterinnen mit solchen Nachrichten zu kämpfen haben.

Ist das Opfer älter als 14 Jahre, dann komme „nur“ der Straftatbestand der Beleidigung in Frage. Auch hier sei unerheblich, ob die Aussage persönlich oder im Internet getätigt werde. Beleidigung liege vor, wenn „in den Äußerungen eine herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist“. Paragraf 185 des Strafgesetzbuches sieht dafür Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor.

Doch was, wenn das Opfer – wie im Fall der zwölfjährigen Sabrina – unter 14 Jahre alt ist? „In Ausnahmefällen“ komme dann versuchter sexueller Missbrauch von Kindern in Frage. Dazu müsse der Täter Kenntnis vom Alter des Kindes haben und er müsse darauf aus sein, dieses zur „Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu bringen oder mittels pornographischer Abbildungen auf das Kind“ einwirken. Eine besondere Form ist „Cyber Grooming“. Das zielt auf die Vorbereitung und Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs über das Internet ab. Strafmaß: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Der Versuch ist nicht strafbar.

„Das erste Mal, dass ich mich dran erinnern kann, dass das ein Thema war, war mit 15. Damals habe ich einen Jungen kennengelernt, bei dem grundsätzlich von beiden Seiten Interesse bestand. Er ist damals gerade 18 geworden. Er sagte etwas in der Art, dass er sich gerne mal zur Verfügung stellen würde. Dass ich mich bestimmt gut bewegen könne und so weiter. Verpackt in einem charmanten Lächeln und einem Zurückrudern, als ich nicht drauf angesprungen bin. Inzwischen hab ich einige solche Begegnungen gehabt. Ich hab eine Zeitlang auf einem Gestüt gearbeitet. Wenn ich davon erzähle kommt öfter mal eine Bemerkung über ‚geile Hengste’ oder ob ich besagte Person auch ‚einreiten’ möchte.“
Hanna, 24, aus Trier

Das sagt der Verband: Hanna hätte sich an den Pferdesportverband Rheinland-Pfalz wenden können. Denn der nimmt sich dem Thema an. „Die Problematik ist uns seit einigen  Jahren bekannt“, sagt Geschäftsführer Klaus Blässing. Dass auch in sozialen Netzwerken solche Kommentare fallen, sei „sicherlich unbestritten“. Dennoch habe man auf den verbandseigenen Facebook- und Instagram-Seiten keine solche Erfahrungen gemacht. Außerdem seien bislang keine Reiterinnen an den Verband herangetreten: „Bisher haben wir weder Kenntnis von derartigen Vorfällen in Rheinland-Pfalz, noch hat es bisher zu diesem Thema konkrete Anfragen von Reiterinnen gegeben.“

Ungewöhnlich? Nein. Das findet zumindest Lisa Marie Kreutz: „Zum einen trauen sich viele Betroffene nicht darüber zu sprechen“, sagt die Nachwuchsreiterin, „Des Weiteren wissen die meisten auch nicht, dass man sich bei solchen Fällen an den Landesverband wenden kann.“

„Ich war 15. Bei uns im Stall gab es eine Frau, die unsere Pferde gefüttert hat. Ihr Sohn war Mitte 20 und lungerte im Stall herum. Irgendwann fingen die Sprüche an. ‚In der Strohkammer wäre man ja ungestört’, ‚dein Spind ist ja die reinste SM-Kammer mit den Sporen und Peitschen’ oder ‚Dein Pferd hast du aber gut im Griff. Du weißt wohl, wie man mit großen Dingen umgeht’. Zum Glück war meine beste Freundin dabei, deswegen habe ich mich sicherer gefühlt. Aber man war sich nie so sicher, ob man es jemandem erzählen soll, ob es wirklich so schlimm ist oder ob man sich nur so anstelle. Zum Glück ist der Mann irgendwann weggezogen.
Katja*, 21, aus Trier

Das wird getan: Blieb Katja nichts anderes übrig als zu warten, bis der Täter wegzieht? Nein, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen: „Allgemein gilt, dass jeder, der sich durch einen Kommentar in seiner Ehre verletzt und beleidigt sieht, bei der nächsten Polizeidienststelle Strafanzeige erstatten und Strafantrag stellen kann.“ Allerdings handele es sich bei der Beleidigung um ein Privatklagedelikt. Die Staatsanwaltschaft erhebe deswegen nur Anklage, wenn diese im öffentlichen Interesse liege. Konkrete Handlungsempfehlungen ließen sich „angesichts der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen nicht erteilen“.

Auch der Pferdesportverband Rheinland-Pfalz arbeite der Thematik entgegen, sagt Klaus Blässing. Auf der Geschäftsstelle gebe es eine Ansprechpartnerin. Außerdem versuche man sowohl regional als auch überregional zu sensibilisieren. „Seit Jahren fließt dieses Thema auch bei uns in die Trainerausbildung mit ein“, sagt der Verbands-Vorsitzende. Unter anderem müssen die Trainer einen Ehrenkodex unterschreiben, in dem sich der Verband von solchen Vorfällen distanziert. Die Landestrainer müssen darüber hinaus ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. In seiner Satzung beziehe der Verband außerdem Stellung und distanziere sich von jeglicher Form „körperlicher, seelischer oder sexualisierter Gewalt“.

Nicht genug, sagt Lisa Marie Kreutz. Zwar tue Blässings Landesverband mehr als andere, aber das reiche nicht. Deswegen macht sie auf dem sozialen Netzwerk Instagram auf das Thema aufmerksam. Unter dem Hashtag #uyvequestrian (Steht für „Use your voice equestrian“ = „erhebt eure Stimme, Reiter“), gibt sie anderen Reiterinnen die Chance, ihre Geschichte zu erzählen. Und es werden jede Menge Geschichten erzählt, eine unglaublicher als die andere.

Nur zwei Beispiele: Ein Mädchen wird gebeten, „Fotos mit und ohne Reitklamotten zu schicken“, eine 14-Jährige sucht nach einer Reitbeteiligung und erhält immer wieder das Angebot, dass Männer sie für sexuelle Gefälligkeiten bezahlen wollen. „Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, weil Unzählige betroffen sind und das Problem bisher nie thematisiert wurde“, sagt Kreutz, „Dadurch fühlen sich viele Reitsportlerinnen, gerade die jüngeren unter uns, allein und teilweise auch hilflos.“

Viele Reiterinnen sehen das als nicht notwendig an. Bei der Recherche sprechen wir auch mit solchen, die diese Kommentare als „dumme Sprüche“ abtun, weglächeln oder „drüberstehen“. Hashtag-Initatorin Kreutz sieht das nicht als gute Lösung an: „Ignoranz ist eine Entscheidung, keine Lösung. Solange wir ein Problem ignorieren, löst es sich nicht.“ Es sei jedem selbst überlassen, wie er mit dem Problem umgehe, die Frauen, die darüber stehen, könnten das gerne tun. „Dennoch dürfen wir die gesamte Thematik nicht als ‚Normalität’ hinnehmen.“

Normalität gibt es für die mittlerweile 18-Jährige Sabrina noch immer nicht. Das, was sie mit Zwölf erlebt hat, hat sie nachhaltig geprägt. Ihr Verhältnis zur eigenen Sexualität durch übermäßige Vorsicht belastet. Das Reiten hat sie dennoch nicht aufgegeben.

*Name von der Redaktion geändert

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