Interview Gesundheitsministerin: „Auf Dauer sind Besuchsverbote nicht so streng möglich“

Trier/Mainz · Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin spricht im Videointerview über Altenheime, Maskenpflicht und Geburtstage ohne Großeltern in der Corona-Krise.

 So laufen Interviews in Corona-Zeiten: Die Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler beantwortet Fragen von TV-Chefredakteur Thomas Roth (rechts), Chefreporter Bernd Wientjes (Mitte) und Landeskorrespondent Florian Schlecht via Video-Chat.

So laufen Interviews in Corona-Zeiten: Die Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler beantwortet Fragen von TV-Chefredakteur Thomas Roth (rechts), Chefreporter Bernd Wientjes (Mitte) und Landeskorrespondent Florian Schlecht via Video-Chat.

Foto: TV

(flor) Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Formate: Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Gesundheitsministerin von Rheinland-Pfalz, gab dem Volksfreund ein Interview zur Corona-Krise – via Videokonferenz.  Die SPD-Politikerin saß in Mainz, unsere Redakteure im Home Office.

Frau Ministerin, wie schützen Sie sich vor dem Corona-Virus?

Sabine Bätzing-Lichtenthäler: Ich habe natürlich auch noch Kontakte und bin auf der Arbeit in Mainz unterwegs. Das oberste Gebot, um sich zu schützen, heißt: Abstand halten, das so genannte Social Distancing – und das so konsequent wie möglich. Für mich bedeutet das: Mehr Videokonferenzen, mehr Telefonschalten, so wenige Termine mit anderen Menschen zusammen wie möglich und Abstand halten im Büro. Das gilt genauso im privaten Bereich, wenn ich heim zu meiner Familie kehre.

In der Familie halten Sie aber keinen Abstand?

Bätzing-Lichtenthäler (lacht): Nein, die Familie hält sich ja auch an die reduzierenden Maßnahmen. Auch da gilt: Zu Oma und Opa findet derzeit kein persönlicher Kontakt statt, sondern per Chat und Telefon. Mein kleiner Sohn wurde jetzt sechs Jahre alt. Es war der erste Geburtstag ohne Kinderbesuch, Oma und Opa. Das ist für viele Menschen eine schwere Herausforderung, die man versucht, so gut wie möglich zu meistern.

Wie viele Menschen sind genesen – und warum melden die Zahl nicht alle Gesundheitsämter?

Bätzing-Lichtenthäler: Es gibt keine Pflicht, genesene Menschen zu melden. Das ist festgelegt im Bundesinfektionsschutzgesetz. Wir können aber bestimmte Hochrechnungen vornehmen. Danach gehen wir davon aus, dass fast 60 Prozent der Menschen, die in Rheinland-Pfalz an Covid19 erkrankt sind, genesen sind. Das ist aber eine Schätzung. Es kann sein, dass einzelne Gesundheitsämter versuchen, die Zahlen zu erfassen. In der Tat sind die Ämter aber stark ausgelastet mit Testungen, Nachverfolgung von Kontaktpersonen und Isolierungen. Da ist es nicht an allen Stellen möglich, die Genesenen-Zahl genau zu fassen. Sie konzentrieren sich auf die Verpflichtungen, die sie haben.

Wie viele Corona-Tests gibt es im Land pro Tag?

Bätzing-Lichtenthäler: Wir führen aktuell pro Tag mittlerweile so 2200 bis 2300 Tests in Rheinland-Pfalz durch. Das hat sich von Anfang an immer weiter aufsummiert, weil wir Kapazitäten ausgebaut haben – wie Fieberambulanzen und Labore. Insgesamt liegt die mögliche Testkapazität mit 5000 sogar noch ein Stück höher. Dass die nicht ausgeschöpft ist, liegt daran, dass Großlabore zum Teil auch Tests aus anderen Bundesländern auswerten. Hochgerechnet vom 20. Februar - seit der erste Fall bei uns aufgetreten ist - kommen wir auf 94.500 Testungen für Rheinland-Pfalz.

Wäre es nicht viel sinnvoller, Kapazitäten voll auszunutzen und noch mehr zu testen?

Bätzing-Lichtenthäler: Natürlich sind Testungen ganz wichtig. Sie müssen aber sinnvoll sein. Ich kann nicht einfach jemanden auf Verdacht testen, der am nächsten Tag erkrankt – und noch einen negativen Test hatte. Es gibt klare Empfehlungen des Robert Koch-Instituts: Wenn ein Patient Krankheitssymptome aufzeigt und Kontakt zu einer infizierten Person hatte, dann ist auf jeden Fall zu testen. Wenn darüber hinaus ein Arzt entscheidet, dass ein Test nötig ist, wird dieser auf jeden Fall durchgeführt. Wenn die kontaktreduzierenden Maßnahmen wirken und die Kurve abflacht, werden wir nochmal verstärkt in Testungen einsteigen, um das Virus auf einem niedrigen Niveau zu halten. Dann werden wir nicht nur intensiv testen, wenn ein neuer Fall auftritt, sondern genauso intensiv in der Nachverfolgung von Kontaktpersonen und Isolierung sein. Nach Lockerungen gilt es auch, Senioren ganz besonders in den Fokus zu nehmen – die Risikogruppen. Da kann es sinnvoll sein, in einer stationären Alteneinrichtung das komplette Personal zu screenen, wenn neue Fälle aufgetreten sind. Wir haben noch Kapazitäten – und wir können sie noch hochfahren.

Ist eine Maskenpflicht sinnvoll?

Bätzing-Lichtenthäler: Ich sehe zur Zeit noch keine Maskenpflicht als nötig an. Der sinnvollste Schutz für einen selber sind das Social Distancing und die Hygiene. Wenn das Bedürfnis bei Menschen steigt, eine selbstgenähte Maske zu tragen, ist das natürlich völlig in Ordnung. Es empfiehlt sich auch, eine Maske zum Fremdschutz zu tragen, wenn später der ÖPNV wieder ausgelastet ist oder ich wieder ins Altenheim gehen kann. Eine Pflicht würde aber suggerieren, dass wir auf dann alle anderen Maßnahmen keinen Wert mehr legen müssen und man maßgeblich geschützt ist. Das ist aber nicht der Fall. Der falsche Weg wäre es auch, wieder aufeinander zuzugehen und Nähe zu suchen, wenn alle Masken tragen. Was Schutzmasken angeht, so sind diese außerdem deutschlandweit ein knappes Gut. Die chirurgischen Masken sollten lieber dem medizinischen und pflegerischen Personal vorbehalten sein, damit die im direkten Kontakt mit Infizierten wirklich ausreichend geschützt sind.

Ganz offen: Wenn es genügend solcher Masken geben würde, sollte dann jeder eine tragen?

Bätzing-Lichtenthäler: Ich würde es nicht jedem empfehlen, sondern es von der Situation abhängig machen. Wenn ich später im Bus oder Straßenbahn fahre, könnte ich mir eher vorstellen, eine Maske zu tragen, als wenn ich zuhause in meinem privaten Dorf auf dem Weg zum Bäcker bin. Ich denke, dass sich das Bild in der Gesellschaft nach der Krise ändern wird. Es wird dann eine größere Sensibilität und mehr Menschen geben, die sich und andere mit Masken schützen werden. Da bin ich mir sicher.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat am Mittwoch von 120 Corona-Infizierten gesprochen, die in Kliniken beatmet werden. Kommende Wochen rechnen die Krankenhäuser mit dem vorläufigen Peak. Inwieweit sind Kliniken auf einen Ansturm vorbereitet?

Bätzing-Lichtenthäler: Nach Gesprächen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft muss ich sagen: Es ist jetzt schon deutlich gelungen, die Zahl der Intensivbetten zu erhöhen und zusätzliche Beatmungskapazitäten zu schaffen. Wichtig ist auch das Personal. Ich habe angekündigt, dass wir in Schnellschulungen Personal weiterbilden, dass in der Intensivpflege mit einsetzbar ist. Knapp 1000 sind schon geschult. Wir finden in den Krankenhäusern vor Ort gute Infrastrukturen vor.

Bis wann sind alle Pflegekräfte weitergebildet, um auf Intensivstationen helfen zu können? Reichen sie?

Bätzing-Lichtenthäler: Wir gehen von zwei bis drei Wochen aus, bis alle 2000 Pflegefachkräfte qualifiziert sind. Darüber hinaus haben wir weiteres Personal akquiriert. Ich bin der Landespflegekammer sehr dankbar, dass sie auch mit unserer Initiative einen Freiwilligen-Pool aufgebaut hat, mit dem sie gezielt Pflegekräfte sucht, die sich im Ruhestand oder in Elternzeit befinden. Da besteht die Möglichkeit, für Krankenhäuser und Pflegeheime zusätzliches Fachpersonal zu gewinnen. Wir bieten die ausländischen Pflegekräfte, die sich derzeit im Anerkennungsverfahren und sich nicht im theoretischen Unterricht befinden, als unterstützende Hände an. Dazu kommen noch die vielen Medizinstudenten, die sich bereit erklärt haben, helfen zu wollen. Wir wollen so viel Personal wie möglich in die Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen schicken, weil die Mitarbeiter dort bereits jetzt sehr beansprucht sind.

Ärzte sagen, dass die Beatmung von schwerkranken Covid19-Patienten alles andere als einfach ist. Reicht es da, einen Crashkurs zu machen?

Bätzing-Lichtenthäler: Zum einen besorgen wir bei den Beatmungsgeräten keine No-Name-Geräte, mit denen die Klinik noch nie zu tun hatte. Wir versuchen die Zuordnung schon so zu machen, dass das Krankenhaus X nach wie vor sein bekanntes Gerät Y zugeteilt bekommt und dort nicht zehn verschiedene Herstellertypen rumgeistern. Die 2000 Pflegefachkräfte, die wir in Weiterbildungen zur Verfügung stellen, sind außerdem auf den Intensivstationen einsetzbar. Wo weniger Behandlungen in den Kliniken stattfinden, da stocken wir auf mit dem Personal aus dem Freiwilligen-Pool.

Die Krankenhausgesellschaft geht nicht davon aus, dass Kliniken in den kommenden ein, zwei Wochen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Wie sollen erste Lockerungen aussehen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für die Zeit nach Ostern angedeutet hat?

Bätzing-Lichtenthäler: Was wir an Einschränkungen haben, gilt bis zum 19. April. Das ist wichtig. Vor dem Osterwochenende will ich daher auch an die Leser appellieren, sich weiter an die Kontaktreduzierung zu halten. Dann wird man neue Daten und Fakten haben und schauen, wo es erste Lockerungen geben wird. Das wird sicher stufenweise erfolgen. Es wird eine Notwendigkeit geben, die Wirtschaft wieder ins Laufen zu bringen. Beim Bildungsbereich warten alle darauf, wie es weiter geht. Mit jeder Lockerung wird aber die Gefahr verbunden sein, dass das Virus wieder mehr verbreitet wird und wir neue Schutzmaßnahmen hochfahren müssen. Social Distancing werden wir hochhalten müssen, wenn man wieder in mehr Geschäfte gehen kann. Ein Schutzbereich, wo es sicher am spätesten zu Lockerungen kommen wird, ist der Bereich von Risikogruppen – wie Menschen in Senioreneinrichtungen. Da wird der Schutz eine besondere Rolle einnehmen.

Sind sie dafür, dass Risikogruppe viel länger Kontaktsperren einhalten als jüngere, gesündere?

Bätzing-Lichtenthäler: Wir brauchen da einen besonderen Schutz. Auf der anderen Seite muss man sagen: Was wir mit dem Betretungsverbot regeln, ist gerade für Menschen in Senioreneinrichtungen an der Grenze. Es gibt auch die große Gefahr von sozialer Isolierung und Vereinsamung. Diese drastische Maßnahme ist jetzt notwendig. Wir müssen aber schauen, dass trotz der Auflagen Kontakt stattfinden kann, über Alternativen wie digitale Medien und andere Angebote. Auf Dauer werden wir das Besuchsverbot nicht so streng führen können. Das bedeutet aber, dass das Personal mit Schutzausrüstung tätig sein muss, es nur so wenige Besuche wie möglich geben darf und Angehörige auch nur mit ganz viel Schutzkleidung in den Heimen auftauchen dürfen.

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