Dachschäden und Holzwege

TRIER. Es ist mal gerade hundert Tage her, da sprach die halbe Republik plötzlich von Leimbindern, Brettschichthölzern und Belastungs-Indikatoren. Nach dem Einsturz eines Hallendachs in Bad Reichenhall gerieten Dachkonstruktionen aus Holz in den Mittelpunkt des Interesses. Mit Auswirkungen, die man bis nach Trier spürt.

"Schon wieder einer." Bruno Pyttlik schaut sichtlich genervt drein. Der Anrufer hätte gern eine schriftliche Garantie, dass seine Dachterrasse auch größere Schneemassen aushält. Dabei steht schon in den Lieferunterlagen, dass jeder Quadratmeter bis zu 350 Kilo trägt. "Selbst starke Schneedecken hierzulande bringen es maximal auf 75 Kilo pro Quadratmeter", seufzt Ingenieur Pyttlik. "Extrem haltbar und stabil"

Seit Januar hat der Mitarbeiter der Trierer Fachfirma Holzbau Mohr Dutzende solcher Anfragen verunsicherter Bauträger beantwortet. Als Spezialist für "Ingenieurholzbau" gehört das Unternehmen aus der Diedenhofener Straße zu den bundesweit meistgefragten Lieferanten für das "Brettschichtholz", aus dem Dachkonstruktionen von Turnhallen, Schwimmbädern, Lagern oder Fabrikationshallen hergestellt werden. Inhaber Bernhard Mohr lässt auf seinen Werkstoff nichts kommen. "Extrem haltbar und stabil" sei das "Leimholz", wie es im Volksmund genannt wird. Allerdings nur, "wenn es sachgemäß verarbeitet und gewartet wird". Solche Erkenntnisse sieht Mohr in der "allgemeinen Hysterie" untergehen, die nach Bad Reichenhall entstanden sei. Landauf, landab habe jeder selbst ernannte Fachmann Risse in Holzdächern entdeckt. Ein Sachverhalt, über den sich echte Experten eher amüsieren, gehören doch Risse zu den "werkstoffbedingten Eigenheiten bei Holz", wie Mohr nicht ohne Ironie formuliert. Der Unternehmer hat sich vor allem über die heftigen Spekulationen geärgert, die in den Tagen der Reichenhaller Katastrophe um die Ursache des Einsturzes kreisten. Von "altersschwachem Leim" und "gebrochenen Verbindungen" war die Rede, obwohl keinerlei gesicherte Erkenntnisse vorlagen. Das sei "falsch" und "befremdlich", zitiert Mohr die Wissenschaftler von der "Studiengemeinschaft Holzleimbau". Zudem sei in Reichenhall Material eingesetzt worden, das seit den 70er Jahren nicht mehr hergestellt werde. Aber für ruhige Abwägungen war in den letzten Wochen wenig Raum. Vor allem öffentliche Verwaltungen machten sich, von Nervosität ergriffen, mit der Lupe auf den Weg. Von privaten Kunden oder Unternehmen habe es kaum Anfragen gegeben, konstatiert Bruno Pyttlik. Dafür hat er einige tausend Kilometer verfahren, um Stadt- und Gemeindebedienstete, Beigeordnete und Bürgermeister zu beruhigen. Er sei "erstaunt über die geringe Sachkompetenz selbst bei Spezialisten in den Verwaltungen", sagt der Ingenieur und wundert sich, was ihm bisweilen als potenzieller Gefahrenherd präsentiert wurde. Holzfundamente halten auch mal 2000 Jahre

Dabei seien es häufig die Kommunen selbst, deren mangelhafte Pflege der Bausubstanz Probleme entstehen lasse, stellt Bernhard Mohr fest - und lässt unverhohlen anklingen, dass er auch die Trierer Keune-Turnhalle, die zeitweilig geschlossen wurde, zu diesen Fällen rechnet. Die öffentlichen Bauherren wählten häufig architektonisch attraktive Lösungen, bei denen das Holz besonderen Belastungen ausgesetzt sei, hätten aber dann kein Geld für die angemessene Wartung. Der öffentliche Sturm hat sich inzwischen etwas gelegt, in Bad Reichenhall verlor der Bürgermeister die turnusgemäße Wahl, die Staatsanwaltschaft fahndet weiter nach der Einsturz-Ursache, eine Initiative von Bundesbauminister Tiefensee für einen "Gebäude-Tüv" wurde von den Kommunen abgebügelt. Holzbau-Unternehmer wie Bernhard Mohr fürchten derweil, dass "der Zweifel am Werkstoff Holz trotzdem zunimmt". Auch wenn Mohr bei der Auftragslage seiner Firma kurzfristig keine Einbrüche zu beklagen hat. Gegen Sensibilisierung habe er nichts einzuwenden, versichert er, "wohl aber gegen Panikmache". Regelmäßige Routine-Prüfungen hält er für zweckmäßig, aber auch Vertrauen ins Holz. Schließlich stehe auch die Römerbrücke in Trier seit 2000 Jahren auf Holzfundamenten.

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