Karl Marx Überblick: Demos in der Trierer Innenstadt

Trier · Demos über Demos: Linke, Rechte, verfolgte Chinesen, junge Katholiken, Tierschützer und selbst Hebammen protestieren am Samstag in Trier für ihre Anliegen.

 Die Sekte Falun Gong protestiert anlässlich des Aufenthalts einer Delegation der chinesischen Regierung in Trier vor der Porta Nigra gegen die Verfolgung in ihrem Heimatland.

Die Sekte Falun Gong protestiert anlässlich des Aufenthalts einer Delegation der chinesischen Regierung in Trier vor der Porta Nigra gegen die Verfolgung in ihrem Heimatland.

Foto: Friedemann Vetter

Wer was erleben will, sollte nach Trier fahren. In der Römerstadt prallen am Samstag Welten aufeinander. Es wird ein Spektakel – ein historischer Tag – wie es ihn nur alle paar Jahrzehnte gibt.

Nicht nur, weil die Stadt zum 200. Geburtstag von Karl Marx voller Prominenz und Presse ist, weil die umstrittene chinesische Statue enthüllt wird oder weil Feste locken, sondern auch, weil ungewöhnlich viele Menschen protestierend mit Plakaten und Parolen durch die Trierer Straßen ziehen. Die Polizei rechnet bei den vier größten Demos mit je drei- bis vierstelligen Teilnehmerzahlen. Es könnten also Tausende werden.

Natürlich viele Rechte und Linke. Aber auch erstaunlich viele andere. Nach Auskunft von Rathaus-Pressesprecher Michael Schmitz sind folgende Demos, Kundgebungen und Info-Stände angemeldet:

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) ziehen als Marx-Bündnis zu Ehren des Philosophen durch die Stadt. Dabei sind auch Gäste aus Luxemburg, Großbritannien, Frankreich und Kuba. Patrik Köbele, DKP-Vorsitzender, sagt, die Zukunft gehöre der Solidarität, der Vernunft, dem Sozialismus „und nicht dem um sich greifenden Chauvinismus und Rassismus“. Dafür stehe das Motto: Marx hat Zukunft! Los geht es um 9.30 Uhr am Viehmarktplatz. Mit einem Zwischenstopp am Heuschreckbrunnen zieht das Bündnis über den Hauptmarkt Richtung Simeonstiftplatz, wo um 11.30 Uhr die Marx-Statue enthüllt wird. Die Abschlusskundgebung ist für 11.45 Uhr  vor der Porta Nigra geplant.

Einen ähnlichen Weg schlägt wenig später die AfD ein, die Karl Marx „vom Sockel holen“ will. Die AfD Trier, die AfD-Stadt- und Landtagsratsfraktionen sowie die Junge Alternative treffen sich um 10 Uhr auf dem Viehmarktplatz und ziehen – ebenfalls mit Zwischenstopp am Heuschreckbrunnen – über den Hauptmarkt, durch die Moselstraße zum Kaufhof-Parkhaus, vor dem um 11.30 Uhr parallel zur Statuenenthüllung die Abschlusskundgebung stattfindet. Das Motto: „Nie wieder Marxismus! Gegen das Vergessen von über 100 Millionen Kommunismus- und Sozialismusopfern“. Marx sei „ein übler Rassist und Antisemit“ gewesen, schreibt die AfD Trier.

Dass die AfD demonstriert, ruft ein Bündnis gegen Rechts auf den Plan, das sich unter dem Motto „Trier stellt sich quer“ ebenfalls um 9.30 Uhr auf dem Viehmarkt versammelt. Mitglieder sind das Multikulturelle Zentrum, die Katholische Studierende Jugend, Trier für alle, SJ Die Falken und Die Kosmopolitische Plattform Trier. Eine Demonstration der rechtsradikalen AfD sei nicht hinzunehmen. Die Demonstranten setzen sich gegen rassistische Hetze und für Menschenrechte, Gleichberechtigung und Solidarität ein.

Die spirituelle, in China verbotene Bewegung Falun Gong will an mehreren Orten in der Stadt mit Plakaten darauf aufmerksam machen, wie ihre Anhänger in der alten Heimat verfolgt werden. Laut Schmitz werden die Demonstranten auch Übungen praktizieren. „Falun Gong kombiniert Meditation und Qigong-Übungen mit moralischen Grundsätzen basierend auf Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“, heißt es bei Wikipedia. Rund 2000 Praktizierende soll die als Sekte kritisierte Vereinigung in Deutschland haben: ein Drittel Chinesen, zwei Drittel Deutsche. Mahnwachen sind geplant am Simeonstiftplatz (wo auch die chinesischen Ehrengäste vorbeikommen), am Hauptmarkt, vor der Porta und in der Nähe des Karl-Marx-Hauses.

Die Tierschutzorganisation
Anonymous for the Voiceless will Passanten ab 14.30 Uhr am Domfreihof von einem veganen Leben überzeugen, die für Europa eintretende Organisation Pulse of Europe steht am Heuschreckbrunnen (wo sie Besuch von Rechten und Linken bekommt), der Behindertenbeirat der Stadt enthüllt um 12 Uhr auf dem Hauptmarkt ein eigenes Denkmal. Da auch internationaler Hebammentag ist, lassen die Hebammen am Pranger einen lebensgroßen Karl Marx schnitzen. Und dann gibt es noch einen Einzelkämpfer, der aus Protest gegen die Feierlichkeiten einen Hungerstreik am Simeonstiftplatz angekündigt hat.

„Wir haben volles Vertrauen, dass die Trierer Polizei gut vorbereitet ist und ihre Arbeit macht“, sagt Rathaussprecher Michael Schmitz. Laut Präsidium werden auch Polizisten aus anderen Bundesländern hinzugezogen, die in Uniform und in Zivil unterwegs sind. „Im Gegensatz zu der Zeit, in der Karl Marx lebte, haben wir heute Meinungs- und Pressefreiheit, es ist also vollkommen klar, dass jedermann an der Statue seine Meinung kundtun kann – ob er sie mag oder sie ablehnt“, sagt Schmitz. Die Stadt hoffe, dass das auf zivilisierte und respektvolle Art und Weise geschehe – und „nicht mit Gewalt oder Zerstörungswut“.

Auch zahlreiche Briefe haben die Stadt erreicht: Der Vize-Präsident des Schriftstellerverbands PEN bittet, die Einweihung des Denkmals zu verschieben, bis China die Dichterin Liu Xia aus dem Hausarrest entlässt. Die International Campaign for Tibet Deutschland warnt, Trier öffne mit der Statue und einer China-Ausstellung ein Einfallstor für die chinesische Staatspropaganda. Die Stadt mache sich zum Helfershelfer der Kommunistischen Partei bei der ideologischen Indoktrinierung ihrer Bürger.

„Wir akzeptieren die Statue als Geste der Freundschaft“, sagte Leibe am Donnerstag. Die Moralfrage gehöre nicht nach Trier, sondern in die große Weltpolitik.

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