"Die CDU-Basis wird ja jetzt schon unruhig"

Die Entscheidung naht: Wird Deutschland erneut von einer großen Koalition regiert? TV-Redakteur Frank Giarra sprach im Vorfeld des SPD-Mitgliedervotums mit dem Landesvorsitzenden Roger Lewentz.

Warum empfiehlt der SPD-Landesvorstand den Parteimitgliedern, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen?
Roger Lewentz: Wir haben lange darüber diskutiert. Ein Koalitionsvertrag bleibt natürlich immer ein Kompromiss. Aber unterm Strich denken wir, dass viel für die Menschen in Deutschland erreicht werden kann. Besonders für die Menschen, die ohne eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung im Regen stehen würden: Etwa Rentner, Leih- und Zeitarbeiter und die Arbeitnehmer, die für weniger als 8,50 Euro in der Stunde schuften. Aber auch die Länder und Kommunen, die künftig finanziell stärker vom Bund profitieren werden.

Haben Sie Angst, dass die Basis am Ende dennoch mehrheitlich ablehnen könnte?
Lewentz: Nein, die Angst habe ich nicht. Zunächst ist das Mitgliedervotum so oder so ein Riesengewinn für die Partei. Wir diskutieren auf allen Ebenen inhaltlich, und selten habe ich so eine lebendige SPD erlebt. Bei der Stimmung beobachte ich, dass der Wind sich gedreht hat. Erst war da ja zugegebenermaßen eine große Skepsis gegenüber der Union. Ehrlich gesagt hätte ich zu Beginn der Verhandlungen niemals gedacht, dass es gelingt, so viel SPD in den Vertrag zu schreiben. Klar, die große Koalition bleibt eine Zweckehe, aber wir könnten in Regierungsverantwortung einfach viel Wichtiges bewegen - und das sieht, denke ich, auch die Mehrheit der Mitglieder so. Von daher glaube ich, dass sie einer Koalition zustimmen werden.

Anfänglich war die Ablehnung gegen eine Große Koalition beim Landesverband sehr stark. Welche Bedenken und welche Kritik hören Sie jetzt noch?
Lewentz: Wir sind ja keine Konsenspartei, sondern bilden viele verschiedene Stimmen und Meinungen ab. Natürlich gibt es auch weiter Kritik am Koalitionsvertrag, etwa seitens der Jusos. Durchweg positive Kritiken von allen Seiten haben wir für die Kommunikation innerhalb der Partei bekommen. Wir haben den gesamten Prozess, von der Bundestagswahl bis zum heutigen Tag, kleinteilig begleitet, in Mitgliederbriefen, bei Telefonkonferenzen und bei Veranstaltungen.

Finden Sie es nicht merkwürdig, dass die SPD ihren Mitgliedern eine Entscheidung abverlangt, ohne ihnen das Personal für die Ministerposten zu offenbaren?
Lewentz: Im Gegenteil! Es geht hier um eine Sachentscheidung und nicht um Posten und Personen. Das finde ich sehr gut - auch weil es erfrischend anders ist. Schauen Sie mal: Vor der Wahl hat Deutschland über die Raute und die Kette der Kanzlerin gesprochen, jetzt wird über die Verwerfungen am Arbeitsmarkt, den Mindestlohn und die Herausforderungen bei Rente und Pflege gesprochen.

Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen: 475 000 Sozialdemokraten, davon 40 000 in Rheinland-Pfalz, entscheiden mit ihrem Votum über das Wohl der Nation?
Lewentz: Sachstand ist doch der, dass solche Entscheidungen bisher in viel kleinerem Kreis gefallen sind. Etwa auf Parteitagen mit einigen Hundert Delegierten oder sogar in Vorständen und Präsidien mit nur einer Handvoll Entscheidungsträgern. Das Mitgliedervotum ist ein Stück mehr Demokratie. Das hat das Potenzial, auch Parteien wieder attraktiver zu machen, wenn die Mitglieder merken, sie dürfen mitreden und mitbestimmen. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft weitere Parteien dem Vorbild der SPD folgen werden. Die CDU-Basis wird ja teilweise jetzt schon unruhig und beschwert sich, dass niemand nach ihrer Meinung fragt. fcg

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort