Gewalt in der Pflege: So schützen regionale Kliniken die Patienten

Trier · Der Fall des Pflegers Niels H., der 90 Menschen getötet haben soll, verunsichert viele Menschen. Experten sind sicher: Man hätte eher Auffälligkeiten bemerken können.

Der Fall Niels H. verunsichert viele Patienten. Wie kann es sein, dass ein Pfleger jahrelang Patienten tötet, ohne dass es jemandem auffällt? Mindestens 90 Menschen soll der heute 40-Jährige vermutlich mit einer Überdosis getötet haben.

Experten geben den Kliniken, in denen der bereits 2015 wegen der Ermordung von sechs Patienten zu lebenslanger Haft verurteilte Niels H. gearbeitet hat, eine Mitschuld. Kolleginnen und Kollegen, Arbeitgeber, Polizei und Justiz haben zu lange weggeschaut", kritisiert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. "So etwas muss auffallen", meint auch Josef Hecken. Er ist unparteiischer Vorsitzender des gemeinsamen Bundesausschusses, in dem Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen Richtlinien für die Behandlung festlegen.

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Auch der Präsident der Landesärztekammer, Günther Matheis, sieht eine Mitverantwortung der Kliniken, in denen der Pfleger gearbeitet hat. Hätten die Häuser Besprechungen, in denen es um "besondere Behandlungsverläufe wie unerwünschte Ereignisse oder Todesfälle" gehe, "schon damals richtig aufgearbeitet, dann wäre man in den entsprechenden Abteilungen sicherlich auf die Auffälligkeiten gestoßen", sagt Matheis. "Bei diesen Treffen wird abteilungsübergreifend über die Verläufe derjenigen Patienten gesprochen, die zu Tode gekommen sind oder unerwartet schwierige Krankheitsverläufe hatten", erklärt er.

Solche sogenannten Mortalitäts-Konferenzen finden bereits im Trierer Brüderkrankenhaus statt. Außerdem, erklärt Klinik-Sprecherin Anne Britten, würden die Ärzte in Zusammenarbeit mit der Polizei regelmäßig sensibilisiert und geschult im Hinblick auf die Ausstellung des Totenscheins. "Wenn in irgendeiner Weise Zweifel oder Unsicherheit über die Todesursache besteht, soll die Möglichkeit der ungeklärten Todesursache vermerkt werden." Dann werde automatisch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und der Fall begutachtet, sagt Britten.

Im Trierer Mutterhaus werden laut Sprecherin Helga Bohnet in regelmäßigen Abständen die Sterberaten überprüft und mit Vor-Zeiträumen verglichen. "Wenn sich die Zahlen nicht erklären lassen, werden die Auffälligkeiten genauer betrachtet und analysiert." Dann werde etwa nachgeschaut, welches Personal zu dem betreffenden Zeitpunkt eingesetzt gewesen sei. Bohnet: "Dadurch gibt es eine hohe Sensibilität, und es kann zeitnah eingegriffen werden."

Hecken fordert, dass die Arzneimittelabgabe in Krankenhausapotheken noch strenger kontrolliert wird. Auffälligkeiten, etwa wenn überdurchschnittlich viel eines Mittels ausgegeben werde, müssten registriert und gemeldet werden. "Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens", sagt Thomas Jungen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser Rheinland-Pfalz und Saarland. In den zur Arbeitsgemeinschaft gehörenden Kliniken gebe es Ansprechpartner, an die sich Mitarbeiter wenden könnten, wenn sie den Verdacht hätten, dass ein Kollege Gewalt gegen Patienten anwende, sagt Jungen. Außerdem habe der Caritasverband einen Leitfaden zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen und anderen Formen von Gewalt im Krankenhaus erarbeitet. Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer bezweifelt, dass alle Mitarbeiter der katholischen Krankenhäuser die Leitlinien kennen. Er warnt davor, alle Pflegekräfte unter Generalverdacht zu stellen und pauschal zu verurteilen. "Die allermeisten machen einen guten Job", betont Mai.

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