Hinweise von der toten Schwester

TRIER. Razlina Reichardts Schicksal hat die Menschen bewegt: Bei der Flutwelle vor anderthalb Jahren verlor die gebürtige Indonesierin 30 Angehörige. Jetzt war die Triererin erstmals wieder in ihrer Heimat – und hat gesehen, dass die Hilfe greift.

Razlina Reichardt hatte einen Traum. Als die 42-Jährige unlängst mit ihrer Familie für vier Wochen auf der indonesischen Insel Sumatra war, erschien der zweifachen Mutter eines Nachts im Traum ihre Lieblingsschwester. Die 43-Jährige starb wie ihr Mann und einer der beiden Söhne am Zweiten Weihnachtstag vor zwei Jahren. Damals hatte ein Seebeben im Indischen Ozean eine tödliche Flutwelle ausgelöst, an deren Folgen vermutlich eine viertel Million Menschen starben - viele davon auf Sumatra, wo auch Razlina Reichardts Schwester wohnte.Mit Schuhen in die Schule?

Von ihnen fehlt seit dem Tsunami jede Spur, ebenso von Frau Reichardts Bruder, seiner Ehefrau, den drei Kindern und weiteren 22 Angehörigen. Ob ihre Leichen jemals gefunden wurden, weiß niemand. Wegen der subtropischen Hitze auf Sumatra wurden die meisten Opfer direkt und ohne Identifizierung in Massengräbern bestattet. Allein in der Gegend um die Provinzhauptstadt Banda Aceh gibt es sechs große Massengräber, in denen jeweils mehrere zehntausend Tote begraben wurden. "Meine Schwester ist mir im Traum erschienen und hat mir ihr Grab gezeigt", erzählt Razlina Reichardt, "es liegt auf einem Hügel unweit der Stadt." Am nächsten Tag sei sie mit ihren Angehörigen zu der beschriebenen Stelle gegangen und habe dort tatsächlich ein Massengrab gefunden. "Jetzt weiß ich wenigstens, wo meine Schwester beerdigt ist", sagt die 42-Jährige. Von der vierköpfigen Familie ihrer Lieblingsschwester hat nur der damals 17-jährige Sohn die Naturkatastrophe überlebt. Er war nicht zu Hause, als die Todeswelle kam. Unter anderem ihm hat Razlina Reichardt seitdem finanziell unter die Arme gegriffen - auch mit Spenden zahlreicher TV-Leserinnen und -Leser, die sich nach unserer Berichterstattung Anfang letzten Jahres bei der Triererin gemeldet hatten. Ein anderes Projekt: eine Oberschule in der Provinzhauptstadt Banda Aceh, die von dem Tsunami zerstört wurde. Mit dem aus der Region Trier gespendeten Geld kauften die indonesischen Lehrer Bücher, Hefte und andere Unterrichtsmaterialien für die inzwischen wiederaufgebaute Schule. Bei ihrem Besuch dort hatte Razlina Reichardt Fragebögen im Gepäck, in denen Trierer Kinder von ihren indonesischen Altersgenossen etwa wissen wollten, wie es ihnen gut anderthalb Jahre nach der Katastrophe geht oder ob sie in die Schule Schuhe tragen. Die Schüler aus Banda Aceh beantworteten nicht nur bereitwillig die Fragen, sondern gaben der 42-Jährigen auch selbst gemalte Bilder mit. Auf vielen dieser Zeichnungen ist zu erkennen, wie sehr der Tsunami die Kinder immer noch beschäftigt. Zwar leben etliche Einwohner in und um Banda Aceh noch in provisorischen Unterkünften, sind einige Straßen vor allem entlang der Küste nicht wieder hergestellt. Doch die Menschen hätten neue Zuversicht gefunden, sagt Reichardt, "und die Katastrophe einigermaßen verkraftet". Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass die meisten Hilfsorganisationen weiter vor Ort sind; auch im südöstlich von Banda Aceh gelegenen Blangpidie, wo Razlina Reichardts 70-jährige Mutter lebt. Dort errichten die Helfer einfache Holzhäuser für die Menschen, die bei dem Tsunami ihr Dach über dem Kopf und damit auch ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Aus Dankbarkeit gegenüber den deutschen Hilfsorganisationen heißt in Blangpidie eine Straße seit kurzem "German-Straße".

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