Mainz Ihr Ton zählt in der SPD

Mainz · Malu Dreyer gefällt sich als Landesmutter und wirkt in den Bund hinein. Was können die Genossen da von ihr lernen?

 Faxen sind selten das Ding einer Ministerpräsidentin. Wenn sie mit Kindern und Erziehern singt, macht die rheinland-pfälzische Landeschefin Malu Dreyer (im roten Hosenanzug) aber gerne mal eine Ausnahme.

Faxen sind selten das Ding einer Ministerpräsidentin. Wenn sie mit Kindern und Erziehern singt, macht die rheinland-pfälzische Landeschefin Malu Dreyer (im roten Hosenanzug) aber gerne mal eine Ausnahme.

Foto: Florian Schlecht

Fritz Naumann ist 85 Jahre alt, er war Binnenschiffer, hat „alles außer Donau“ befahren, ein  rüstiger Rentner, der noch heute in sein Auto steigt. „Ein toller Typ“, grinst Malu Dreyer. Einer ganz nach dem Geschmack der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin. Die SPD-Politikerin ist auf ihrer jährlichen Pressereise, das hat Tradition. Raus aus der Mainzer Staatskanzlei, hinein ins Leben.

Diesmal will die Triererin Erfolgsgeschichten aus  ihrem Land präsentieren, die auch für den Bund interessant sein könnten. Dazu gehört im verschlafenen Osthofen das Projekt „GemeindeschwesterPlus“. An 13 Standorten – darunter auch im Eifelkreis Bitburg-Prüm – gibt es das Konzept inzwischen, die Damen sorgen sich um betagte Menschen wie Naumann, schauen nach dem Rechten, sind immer für ein Gespräch zu haben, wenn die Einsamkeit aufkommt. „Das Thema Pflege war mir immer ein besonderes“, sagt Dreyer. Das kann man verstehen, denn bevor sie 2013 Regierungschefin in Mainz wurde, war sie Sozialministerin unter Vorgänger Kurt Beck.

 Fragt man sie nach der Renteneinigung der großen Koalition in Berlin, dann sprudelt es nur so aus ihr heraus. „Wir wollen  mehr“, betont sie dann. Aber in der schwarz-roten Koalition sei das nicht durchsetzbar. Als Finanzminister Olaf Scholz die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis zum Jahr 2040 forderte, blockte die Union ab. Nicht zuletzt wegen der offenen Gegenfinanzierung. Für Dreyer unverständlich. Sie sei überzeugt, dass die SPD in dieser Frage das Richtige tue. „Denn dieses Thema ist bei den Leuten total vehement.“ Sie habe daher auch die Erwartung, „dass einer der deutlichen Schwerpunkte im Bundeshaushalt die Rente ist“.

 Mit Naumann kann Dreyer gut. „Kochen Sie selber und frühstücken Sie gut?“, will sie wissen. Ganz die Kümmerin. Naumann nickt. Wenn sie in der fernen Berliner SPD-Zentrale wieder lernen wollen, wie man Menschen erreicht, müssen sie vielleicht Dreyer begleiten. Die 57-Jährige glaubt fest daran, dass die SPD wieder stark werden kann, wenn es ihr nur gelingt, Glaubwürdigkeit bei sozialen Themen zurückzugewinnen. Im knallroten Hosenanzug und  blauen Turnschuhen ist Dreyer auf ihrer Reise unterwegs. Sie lacht viel, hört ausgiebig zu, Erzieherinnen werden genauso geherzt wie drei Damen, die im Alleingang ein Weingut managen.

Nah bei den einfachen Leuten, da muss sie sich nicht verstellen. Ihre Paraderolle: Landesmutter. In einem Gespräch mit Journalisten in Mainz kam ihr der Begriff neulich selber über die Lippen. Dreyer sagt: „Ich finde es schön, dass Menschen das Wort mit mir identifizieren, ich fühle mich dem Land und seinen Menschen verpflichtet und empfinde es als Privileg, mit ihnen Rheinland-Pfalz gestalten zu können.“

Dabei wirkt Dreyer stets entspannt. Das unterscheidet sie sehr von Parteichefin Andrea Nahles, die seit ihrer Wahl im April noch nicht wirklich klarmachen konnte, wie sie die Genossen wieder auf Vordermann bringen will. Die SPD dümpelt in den Umfragen weiter bei unter 20 Prozent. Dreyer aber ist sich sicher, dass Nahles genau die Richtige ist, um die Sozialdemokratie zu verändern. „Andrea kennt die Partei in- und auswendig.“

Sie selbst sieht sich da genauso in der Pflicht, nicht umsonst ist sie stellvertretende Vorsitzende. Besonders, wenn es gegen die AfD geht, redet sich die ansonsten so besonnene Triererin in Rage. „Wer die AfD wählt, muss auch zu dem menschenverachtenden Weltbild stehen, das die Partei propagiert“, sagt Dreyer. Die Rechten-Demos in Chemnitz, da macht die Ministerpräsidentin aus ihrem Herzen keine Mördergrube, haben sie aufgewühlt. „Wenn wir nicht aufpassen, finden wir uns in einer Gesellschaft wieder, die sich kein Mensch wünscht. Jedem muss klar sein, mit welcher Partei er da marschiert oder mitläuft“, sagt Dreyer.

Die Worte der Triererin finden Gehör. Journalisten von Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ARD, ZDF, Deutschlandfunk begleiten sie im Bus auf ihrer Tour durch Rheinland-Pfalz, vorbei an Weinreben und Dörfern. Spiegel TV filmt und interviewt die Triererin für eine Porträtreihe, die geplant ist: der Arbeitstitel: Starke Frauen.

Wie geachtet Dreyer inzwischen auch bei den Genossen ist, hat sich auf dem letzten Parteitag gezeigt: Mit 97,5 Prozent erzielte die Pfälzerin das mit Abstand beste Ergebnis der sechs Stellvertreter von Nahles. Man hört auf sie in der Partei, weit über die Landesgrenzen hinaus.  Zwar ist die SPD schnell zu berauschen, wie der Hype um Martin Schulz im letzten Jahr gezeigt hat. Doch bei Dreyer ist Substanz, das merkt man. Ihr gelang im Land 2016 Bemerkenswertes, als sie mit der SPD zehn Prozent Rückstand auf die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner aufholte. Der Erfolg sorgte dafür, dass Dreyer plötzlich in der SPD als Hoffnungsträgerin galt. Doch sie winkte auch wegen ihrer Krankheit, Multiple Sklerose, ab. Immer wieder geistern aber Stimmen durch Rheinland-Pfalz, die Dreyer höhere Ämter zutrauen. Manche trauen ihr gar eine Bundeskanzlerinnen-Kandidatur zu.

 Fragt man sie heute nach ihren Zielen im fernen Berlin, so antwortet Dreyer überzeugend: „Ich bin hier im Land zu hause. Ich habe keine bundespolitischen Ambitionen.“ Von einem solchen Satz kann man schlecht wieder runter.

Relativ geräuschlos führt Dreyer im Land bislang die Ampel in der Koalition mit FDP und Grünen. Die CDU wirft der Regierung zwar gerne vor, das Land einzuschläfern und keine großen Würfe zu wagen.Intern knirschen Teile der Opposition aber auch mal mit den Zähnen, weil die Ampelregierung Konflikte schnell vom Tisch fegt – wie niedrige Bezahlung junger Lehrer oder fehlende Richterstellen. „Glitschig wie Seife, kaum zu fassen“, sei die Ampel unter Dreyer häufig, heißt es dann gerne mal.

Die nächste Landtagswahl ist im März 2021, also voraussichtlich wenige Monate vor der Bundestagswahl. Gefragt, ob der Bundes-SPD solange nicht auch eine „GemeindeschwesterPlus“ guttun könnte, reagiert Dreyer zunächst empört. Dann scherzt sie: „Es geht um Betagte und nicht um Kranke.“

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