In Trier hat Golin Saado wieder das Lachen gelernt

Trier · Über Tausende Kilometer allein und ohne Schutz unterwegs. Minderjährige Flüchtlinge, die ohne Begleitung von Erwachsenen ankommen, werden in Deutschland intensiv betreut. Wie Integration funktionieren kann, zeigt die Geschichte eines jungen Syrers.

Als sich der junge Kurde Golin Saado im Oktober 2015 in Aleppo auf den Weg in Richtung Westen machte, wusste er nicht, wo Trier liegt. "Ich hätte mit 18 zur Armee und in den Krieg gemusst", antwortet der kräftige junge Mann auf die Frage nach der Ursache für seine Flucht. "Mir hat schon damals kaum jemand geglaubt, dass ich erst 17 bin." So sammelte seine Familie das notwendige Geld für den weiten Weg nach Deutschland.

"An der Grenze zur Türkei musst Du schnell laufen", sagt Golin, der gerne lacht und im Walzwerk Kürenz, dem Wohnheim des Palais e.V. für junge Flüchtlinge zu den Vorzeigebewohnern gehört.

Stefanie Arweiler ist bei der Jugendhilfeeinrichtung für die Betreuung dieser Jugendlichen verantwortlich. "Wir haben hier derzeit 40 Bewohner aus Syrien, Afghanistan oder Gambia", erläutert die Diplom-Pädagogin. "Der Entwicklungsstand dieser Jungs ist vollkommen unterschiedlich. Deshalb geht es nicht ohne intensive individuelle Betreuung."

Nicht alle sprechen so gut Deutsch wie Golin Saado, der im Auguste-Viktoria-Gymnasium Trier in der elften Jahrgangsstufe die Integrationsklasse besucht. Vor allem Englisch falle ihm leicht, sagt er, weil er das von seiner Mutter, einer Lehrerin, schon als Kind gelernt habe.

Und dann spricht er wieder von seiner Flucht: "An der türkischen Grenze zu Syrien musst du schnell laufen, weil trotz Schmiergeld schon der nächste Grenzer schießen könnte." Auf der Suche nach einem Schlepper in Izmir war Golins Vater, ein Kaufmann und Landwirt, noch dabei. Danach reiste er zurück in das Dorf bei Aleppo und hielt fortan nur noch per Mobiltelefon Kontakt zu seinem Sohn. Im kurdisch dominierten Teil des Landes hofft die Familie Saado darauf, den brutalen Bürgerkrieg zu überstehen.

Für Golin ging es nach zwei Wochen weiter, mit einer Gruppe von 35 Flüchtlingen aus Syrien, Marokko und Irak, die auf der gefährlichen und anstrengenden Reise bis Kroatien beisammenbleiben sollte. "Wir sind mit Waffen gezwungen worden, das marode Schlauchboot zu den griechischen Inseln zu besteigen", erinnert sich der junge Mann ganz genau - ebenso wie an viele weitere Stationen seiner Flucht. Bittere Kälte und große Angst waren immer wieder seine Begleiter. Mazedonien, Serbien, Kroatien … - Golin war in den immer größer werdenden Menschenmengen an den Grenzen auf sich gestellt.

"In Österreich sind wir auf einer Autobahn gegangen, da waren nur Leute." Und immer sei Geld verlangt worden. "Bei uns in Syrien ist das Taxifahren nicht teuer. In Österreich musste ich 100 Euro für eine Fahrt im vollen Auto zahlen. Als ich dann in Wien gefragt habe, was ein Bahnticket nach München kostet, hatte ich nicht mehr genug Geld dafür." Nach Koblenz, wo ein Bekannter des Vaters seit Jahren lebt, hätte die Bahnfahrt sogar 120 Euro gekostet. "Aber ich hatte nur noch 60 und habe schon gedacht, dass ich in Österreich bleiben muss."

Unverhoffte Hilfe kam von einem jungen Mann, der ihn am Bahnhof fragte, warum er so traurig ist. Er war Kurde und versprach Golin, die Weiterfahrt in einem kostenlosen Zug bis an die deutsche Grenze zu organisieren. "Ich bin mit ihm gegangen und musste drei Tage warten," erinnert sich Golin und schüttelt dabei den Kopf. "Mann, hatte ich da eine Riesenangst. Ich wusste ja nicht, wer das ist und ob er vielleicht etwas anderes mit mir vorhat."

Tatsächlich klappte es mit dem Zug. Und was dann passierte, lässt den jungen Syrer breit grinsen. "Was ich in Deutschland als Erstes gelernt habe, ist die Beutung von Regeln und Pünktlichkeit." Nach 14 Stunden in der Schlange an der Grenze sei ihm unmissverständlich gesagt worden, dass er jetzt nicht auf die Toilette gehen könne. "Die Polizei da war nett, aber anstrengend", lautet die Umschreibung dieser besonderen Drucksituation aus heutiger Sicht.

Über ein Aufnahmelager in Frankfurt ging es weiter nach Koblenz, wo ihm der Freund seines Vaters nach zwei Tagen empfahl, in Trier einen Asylantrag zu stellen. "Der hat gesagt, Trier ist gut für junge Flüchtlinge, und ich war wirklich überrascht, dass ich hier nicht im Camp in der Dasbachstraße bleiben musste, nachdem sie dort meinen Pass gesehen hatten, sondern mit anderen Jugendlichen zusammenwohnen konnte."

Am 31. Oktober 2015 kam Golin Saado nach Trier, schon in der folgenden Woche begann der sechsmonatige IntensivKurs in Deutsch. "Meine Betreuer haben danach gesagt, ich soll ins Gymnasium. Da haben wir normalen Unterricht und machen viel mit deutschen Schülern zusammen," erzählt der junge Mann, der seinen 18. Geburtstag in Deutschland gefeiert hat. "Trier ist echt cool."

Stefanie Arweiler ist vom Erfolg der intensiven Integrationsmaßnahmen überzeugt. "Aber die jungen Männer können natürlich noch nicht alles automatisch, was sie zum selbstständigen Leben in Deutschland brauchen, wenn sie 18 geworden sind." Das gelte sogar für den Vorzeigebewohner des Walzwerks.

Für Golin Saado, der sich bereits in einer deutschen Partei engagiert, hat die Volljährigkeit zumindest eine Konsequenz: "Meine Eltern kann ich nicht mehr nachkommen lassen." Dennoch sieht er seine Zukunft in Deutschland. "Wenn alles klappt, studiere ich Architektur." Aber zunächst stehen Anhörung und Entscheidung für sein Asylverfahren an.

Extra:

2889 unbegleitete junge Flüchtlinge wurden zum Stichtag 15. Dezember 2016 in Rheinland-Pfalz betreut. Etwa 80 Jugendliche werden von den Jugendämtern in jedem Monat neu vorläufig in Obhut genommen. In Zukunft sollen dafür nur noch die Jugendämter Trier und Mainz-Bingen zuständig sein. Das Schwerpunktjugendamt vermittelt die Jugendlichen an die freien Träger der Kinder und Jugendhilfe, wie dem Palais e.V. in Trier.
Diese sind während des sogenannten Clearingverfahrens, in dem Herkunft, Identität und mögliche verwandschaftliche Beziehungen zu Menschen in Deutschland geklärt werden, und auch danach für die individuellen pädagogischen Maßnahmen sowie die verwaltungs-, sorgerechtlichen und organisatorischen Abläufe zuständig.

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