Kein Foto, kein Name - nur die Qualifikation zählt

Berlin · Sie sind zwar kein Allheilmittel für mehr Chancengleichheit. Dennoch können anonymisierte Bewerbungen den Arbeitsmarkt "offener und durchlässiger" machen. Das sagt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Berlin. Anonymisierte Bewerbungen bringen etwas für den Arbeitsmarkt. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ist zu dieser Erkenntnis gekommen. Sie stützt sich dabei auf die in Berlin vorgestellten Ergebnisse eines Pilotprojektes zu anonymen Bewerbungsverfahren, an dem sich im vergangenen Jahr fünf Unternehmen sowie drei öffentliche Arbeitgeber beteiligt haben. Insgesamt sind dadurch 246 Stellen neu besetzt worden. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten: Wie funktionieren anonymisierte Bewerbungen? Ganz einfach: Wenn sich Unternehmen für dieses Verfahren entscheiden, müssen Bewerber kein Foto mehr einreichen, auch keine persönlichen Daten wie Name, Geschlecht, Nationalität, Geburtsort, Behinderung, Alter oder Familienstand. Alle anderen Infos wie Qualifikation, Ausbildung oder Motivation werden hingegen abgefragt. Dadurch erfolgt die Einladung zu einem Gespräch oder einem Eignungstest allein auf Grundlage der Fähigkeiten eines Bewerbers. Im Rahmen des Pilotprojektes erhielten die Firmen anschließend die vollständigen Unterlagen. Die Personalchefs saßen also nicht - wie oft befürchtet - vor einer ihnen unbekannten Person. Was ist der Vorteil? Voreilige Rückschlüsse und oft auch unbewusste Vorurteile aufgrund bestimmter Angaben in Bewerbungen werden vermieden. Lüders meinte gestern, dass beispielsweise ein Foto von den Qualifikationen ablenken und auch Emotionen auslösen könne - nicht selten zum Nachteil eines Bewerbers. Auf der anderen Seite gehen die Experten des Projektes von einem Imagegewinn für Unternehmen aus, die dieses Verfahren anwenden. Neben einer deutlich stärker am Qualifikationsbedarf orientierten Suche nach Mitarbeitern würden sich zudem neue Bewerbergruppen erschließen, was in Zeiten des Fachkräftemangels nicht unwichtig sei. Wer profitiert besonders von einem anonymen Verfahren? Zum einen ältere Menschen über 50 Jahre. Viele Arbeitgeber geben ihnen keine Chance, weil sie angeblich zu oft krank sind. Dabei sind sie meist hoch motiviert. So wie jüngere Frauen, die mitunter schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, weil Personalchefs einen Kinderwunsch fürchten. Auch Menschen mit Migrationshintergrund haben Vorteile - nach Angaben von Klaus Zimmermann, Chef des projektbegleitenden Instituts zur Zukunft der Arbeit, verringert sich allein durch einen ausländisch klingenden Namen die Chance auf ein Bewerbungsgespräch um 14 Prozent. "Wertvolle Potenziale werden verschenkt", so Zimmermann. Gibt es auch Nachteile? Eines sollte klar sein: Anonymisierte Bewerbungen beseitigen keine Bildungsdefizite bei Bewerbern, auch keine strukturellen Probleme in Unternehmen. Und wer als Firma nicht auf ein standardisiertes Bewerbungsformular zurückgreift, muss bei der Bearbeitung der Unterlagen mehr Zeit aufwenden, weil Bewerber dann schwärzen müssen. Wie halten es andere Länder? In den USA, Großbritannien und Kanada sind anonymisierte Bewerbungen seit Jahrzehnten übliche Praxis. In Schweden, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich und Belgien wurden sie bereits erprobt oder eingeführt. Alle Länder berichten über positive Ergebnisse. In Deutschland soll nun weiter geworben werden. Leitfaden und Mustervorlagen für Arbeitgeber: www.antidiskriminierungs-stelle.de/anonymbewerben

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