"Keiner streikt um des Streiks willen"

Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gehen heute in Potsdam in die dritte Runde. Verdi-Chef Frank Bsirske befürchtet, dass ein Ergebnis erst nach weiteren Schlichtungsgesprächen zustande kommen könnte.

Berlin. (vet) Derzeit sieht es nicht nach einfachen Verhandlungen aus; die Positionen liegen weit auseinander. Mit Frank Bsirske sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Bsirske, wie lange müssen die Bürger noch unter den Streiks im öffentlichen Dienst leiden?

Frank Bsirske: Die Warnstreiks sollen die Verständigungsbereitschaft unter den Tarifparteien fördern.

Aber die Arbeitgeberseite sieht genau dadurch die Vertrauensbasis gefährdet.

Bsirske: Das ist schon interessant. Wir haben zwei Verhandlungsrunden hinter uns, ohne dass sich irgendetwas bei den Arbeitgebern bewegt hat. Dort will man die Sache offenbar aussitzen. Ich befürchte, dass sich die Arbeitgeberseite gedanklich schon in Richtung Schlichtung verabschiedet hat, bevor die Verhandlungen richtig begonnen haben. Unsere Beschäftigten wollen das nicht einfach hinnehmen. Deshalb die Warnstreiks.

Der Arbeitskampf geht also munter weiter?

Bsirske: Während der neuen Verhandlungsrunde, die bis zum Freitag angesetzt ist, wird es keine Streiks geben. Danach sind wir schlauer. Niemand streikt um des Streiks willen. Auch bei einer Schlichtung gilt die Friedenspflicht. Falls auch das am Ende scheitert, was sich keiner von uns wünscht, wäre eine Urabstimmung über Streiks fällig. Ich sage aber noch einmal: Wir wollen den Erfolg jetzt.

Was ist dafür ausschlaggebend?

Bsirske: Dass die Arbeitgeber endlich ein Angebot vorlegen. Bislang haben sie keinen Zweifel daran gelassen, die Preise nach unten zu treiben. Das war wenig einigungsorientiert.

Wie verträgt sich Ihre Fünf-Prozent-Forderung mit der katastrophalen Lage der öffentlichen Kassen?

Bsirske: Zweifellos ist die Finanzlage angespannt. Aber der Bund hat dieses Problem noch verschärft, indem er Hotelbesitzern, Erben und großen Unternehmen Steuergeschenke im Umfang von vier Milliarden Euro zukommen ließ. Andererseits sagt der Bund, unser Forderungsvolumen in ähnlicher Höhe sei maßlos. Das kann nicht überzeugen. Es ist ja richtig, Impulse für Wachstum zu setzen. Aber das gelingt mit spürbaren Lohnerhöhungen zur Ankurbelung des Binnenkonsums deutlich besser als mit Zuwendungen für ohnehin schon Privilegierte.

Die klammen Kommunen sind alles andere als privilegiert. Wie sollen die Ihre Forderung verkraften?

Bsirske: Die Perspektive für die Kommunen kann nicht in einer Kette von Lohn-Pausen oder gar Kürzungen bestehen. Vielmehr müssen die Städte und Gemeinden Front machen gegen die aberwitzigen Steuersenkungspläne der Bundesregierung. Zugleich ist eine grundlegende Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung erforderlich. Das bedeutet: Wenn der Bund den Kommunen Aufgaben überträgt, dann dürfen die Kommunen nicht auf den Kosten sitzenbleiben.

Eine Mehrheit in der Bevölkerung sagt, die Gewerkschaften sollten sich angesichts der Krise mit Lohnforderungen zurückhalten. Beeindruckt Sie das?

Bsirske: In einer aktuellen Forsa-Umfrage, die der Beamtenbund mit uns in Auftrag gegeben hat, sind 53 Prozent der Meinung, die Beschäftigten der Kommunen sollten mehr Gehalt bekommen. Und die Bürger wissen sehr wohl, dass die Finanznot der Städte von Bund und Ländern verursacht wurde. Wir tragen mit unserer Forderung dem engen Verteilungsspielraum Rechnung. Es geht uns deshalb auch um Altersteilzeit oder die Übernahme von Lehrlingen.

Im Übrigen liegt das Lohnniveau im öffentlichen Dienst nach wie vor deutlich unter dem der Privatwirtschaft.extra Erstmals in ihrer Geschichte geht die IG Metall ohne eine konkret bezifferte Forderung in Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie. Es müsse darum gehen, Beschäftigung zu sichern, erklärte der erste Vorsitzende Berthold Huber am Dienstag nach einer Sitzung des Gewerkschaftsvorstands. Statt einer konkreten Entgeltforderung verlangt die IG Metall mindestens eine Sicherung der Reallöhne. Die Bezirke Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sollen in den kommenden Wochen vorzeitig über die Sicherung von Tausenden Arbeitsplätzen in der Branche mit zuletzt 3,4 Millionen Beschäftigten verhandeln. Die Tarifpartner sprechen über die Übernahme von Ausgelernten und eine weitere Arbeitszeitverkürzung. Für diese verlangt die IG Metall einen Teillohnausgleich und von der Politik die Entlastung von Steuern und Abgaben. (dpa)

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