Klage gegen Behindertenwerkstätten: Der Streit um die Millionen eskaliert

MainzTrier · Die Behindertenwerkstätten begrüßen die Klage des Landes gegen sie, wollen sich aber nicht einfach so in die Bücher schauen lassen

Zehn Seiten umfasst die detaillierte Kritik des Landesrechnungshof mit der Überschrift "Entgeltvereinbarungen für Leistungen der Eingliederungshilfe in Werkstätten für behinderte Menschen". Das, was sich dahinter verbirgt, beschäftigt, die Landesregierung und das Parlament schon seit zwei Jahren. Anfang 2015 haben die Rechnungsprüfer nämlich bereits bemängelt, dass die Kosten für die Betreuung behinderter Menschen in den Werkstätten von 1985 bis 2011 um fast das Sechsfache auf mehr als 248 Millionen Euro gestiegen sei.

"Die Werkstätten erhielten Entgelte, ohne ihre Aufwendungen nachweisen zu müssen", heißt es in dem Prüfbericht. Und: "Die Einhaltung der Personalschlüssel wurde nicht kontrolliert." Seit 1996 sei das Land verpflichtet gewesen, mit de n Trägern der Einrichtungen Vereinbarungen "über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen, die Vergütung und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie Qualität der Leistungen" zu treffen.

Der damalige Präsident des Landesrechnungshofes, Klaus P. Behnke, fasste die Kritik seiner Behörde damals so zusammen: "Wenn in Rheinland-Pfalz Entgelte gezahlt und erhöht werden, ohne dass das Landesamt für Soziales Nachweise über Erträge und Aufwendungen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen fordert, wenn Erkenntnismöglichkeiten unberücksichtigt bleiben und Prüfungsrechte nicht wahrgenommen werden, ist das Verfassungsgebot der Wirtschaftlichkeit verletzt oder zumindest tangiert."

Ein Insider sagte unserer Zeitung, dass die Träger der Einrichtungen jedes Jahr mehr Landesmittel fordern konnten, ohne dass überprüft worden sei, wozu das Geld benötigt werde. Auch hätten die Träger selbst ihre Leistungen und die Qualitätskriterien festgelegt. Rund 300 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln von Bund und Land flößen so jährlich in die 36 Behindertenwerkstätten im Land, sagt der Kenner der Thematik. Und das, so seine Kritik, obwohl viele der Einrichtungen zum Teil eigenwirtschaftlich arbeiteten und mit ihren von den behinderten Menschen hergestellten Produkten, etwa landwirtschaftliche Erzeugnisse auf dem Hofgut Serrig (Trier-Saarburg) der Lebenshilfe Trier oder Regale, Kisten und Wein beim DRK-Sozialwerk Bernkastel-Wittlich, durchaus Geld verdienten. Im Geschäftsbericht des DRK Sozialwerkes aus dem Jahr 2015 steht, dass die Gesellschaft über rund 5,2 Millionen Euro an liquiden Mitteln verfügt und über ein Gesamtvermögen von 32,6 Millionen Euro verfügt. Der Umsatz für 2015 wird in der Bilanz mit 5,2 Millionen Euro angegeben. Doch selbst diese öffentlich zugänglichen Geschäftsberichte seien vom Sozialministerium nicht herangezogen worden, um zu überprüfen, was mit den an die Einrichtungen gezahlten Steuergeldern geschehen sei, sagt der Insider unserer Zeitung.

Laut Land gibt es "keine juristisch eindeutige Auslegung" bezüglich des Prüfrechts der Werkstätten durch das zuständige Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung. Da man sich mit den Trägern nicht habe über die Prüfungen der Mittelverwendungen verständigen können, hab es "bedauerlicherweise" keine andere Möglichkeit gegeben, als die Werkstattträger zu verklagen, sagte Sozialstaatssekretär David Langner am Dienstag. Im April hat das Land daher Klage bei den Sozialgerichten in Mainz, Koblenz, Trier, Speyer und Darmstadt eingereicht, "um Rechtssicherheit für alle Seiten zu erlangen", wie Marco Dobrani, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Behindertenwerkstätten im Land sagt. Er stellt klar: "Die Werkstätten haben keinesfalls etwas zu verbergen und verwenden die Mittel sachgerecht im Sinne der Ihnen auferlegten Aufgaben. Auch verweigern Sie sich nicht anlassbezogener Prüfungen, wenn die Rahmenbedingungen hierfür klar und transparent geregelt sind."

Der Bund habe dafür mit einen neuen Gesetz die Möglichkeiten geschaffen. Es bestehe ein Prüfrecht, wenn Qualitätsmängel vorlägen, sagt Dobrani. Ein uneingeschränktes und jederzeitiges anlassloses Prüfrecht, wie es das Land wolle, das aber sei Eingriff in die Berufssouveränität, wehrt sich der Vertreter der Behindertenwerkstätten.

DARUM VERKLAGT DAS LAND DIE WERKSTÄTTEN
"Mit den Klagen gegen alle 36 Werkstätten möchte das Land die Vorlage prüffähiger Unterlagen durch die Werkstätten durchsetzen, um den Einsatz von Steuermitteln dahingehend zu prüfen, ob die Wirtschaftlichkeit und Qualität der erbrachten Leistung den Anforderungen entspricht", erklärt Anna Maria Bendel, Sprecherin des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung. Obwohl im Sozialgesetzbuch ein Prüfrecht durch die Behörde vorgesehen sei, würden die Träger dieses Recht bestreiten. Daher bleibe nur die Möglichkeit, per Gericht das Prüfrecht sicherzustellen, so Bendel. Das Land habe auf die Kritik des Landesrechnungshofes von vor zwei Jahren reagiert. Unter anderem gebe es landesweit einheitliche Vorgaben für die Einstellung von zusätzlichem Personal in den Werkstätten.

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