Küsschen für die strahlende neue Landeschefin

Mainz · Historischer Moment im rheinland-pfälzischen Landtag: Nach 18 Jahren Kurt Beck führt jetzt eine Frau die Regierungsgeschäfte. Die Triererin Malu Dreyer (51) ist erst die siebte Ministerpräsidentin an Mosel und Rhein.

Küsschen von Klaus: Die Uhr zeigt am Mittwoch im Landtag 12.12 Uhr, als Klaus Jensen auf die neue Ministerpräsidentin Malu Dreyer zustürmt und sie kräftig drückt. Der Trierer Oberbürgermeister ist sichtlich stolz auf seine Frau, was er später auch gerne vor den Fernsehkameras preisgibt. Jensen ist nicht der erste Gratulant an diesem Tag - der direkt neben Dreyer sitzende SPD-Fraktionschef Hendrik Hering war einen Tick schneller - und schon gar nicht der letzte.
Egal, wo die SPD-Politikerin, elegant in schwarze Hose und magentafarbenen Blazer gekleidet, auftaucht: Um sie herum bilden sich Menschentrauben. Überall blickt sie in freudestrahlende Gesichter, schüttelt Hände und hört lobende Worte. Dutzende von Blumensträußen werden ihr überreicht, Geschenke dazu.
Selbstverständlich sind die Familien von Malu Dreyer und Kurt Beck an diesem wichtigen Tag da und strahlen auf der Landtagstribüne um die Wette. Aus Trier ist ein Bus mit Getreuen und Wegbegleitern angerückt. Sie platzen fast vor Stolz über "ihre" Malu.
Getreu dem Motto, dass Bilder mehr sagen als 1000 Worte, ist es ein perfekter Tag für die SPD. Für ihren grünen Koalitionspartner ebenfalls.
Kurt Beck, der alte Polit-Fuchs, hat es geschafft, den Stabwechsel in der Staatskanzlei zur vollsten Zufriedenheit des gesamten Regierungslagers zu organisieren. Sämtliche Abgeordneten von Rot-Grün schwärmen in den höchsten Tönen davon.
Der alte Regierungschef - daran wird man sich wohl erst noch gewöhnen müssen - hat auch sein letztes Werk mit den ihm eigenen Maßstäben vollendet. "Das Wir", sagt Beck in seiner Abschiedsrede vor dem Parlament, "müssen wir stets vor dem Ich betonen." Und der Pfälzer ergänzt: "Uns als Demokraten verbindet mehr, als uns trennt."
Es sind versöhnliche Worte auch an die Adresse von CDU-Chefin Julia Klöckner, die ihm in den letzten Jahren seiner Amtszeit mächtig zugesetzt hat, so mächtig, dass Beck einige Male ausgerastet ist.Seiner Nachfolgerin wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht passieren. Malu Dreyer ist nicht der Typ dafür. Sie lächelt und lächelt und lächelt. Sie geht schon in ihrer ersten Rede auf die CDU zu: "Ich will Sie einladen, dass wir vor allem miteinander reden." Sie will Becks Werk weiterführen und sagt: "Die Bürger unseres Landes Rheinland-Pfalz stehen im Mittelpunkt all meines Handelns. Mein Streben, meine Kraft - sie gelten ihnen." Dagegen kann niemand etwas einwenden, auch nicht die Opposition.
Spannend wird es erst dann, wenn es konkret um Inhalte geht. Dreyer hatte vor vielen Jahren schon einmal in der Rodalben-Affäre, bei der es um den Tod einer Erzieherin in einem Heim für Jugendliche ging, unter Attacken der Union zu leiden. Kurt Beck musste sich pausenloser Angriffe infolge der Nürburgring-Affäre erwehren. Rückblickend sagt er, Fehler seien für ihn "immer mehr als peinlich und ärgerlich". Es tue ihm leid, dass solche an der Rennstrecke passiert seien. Aber wer arbeite, mache eben auch Fehler.
Ab in die Schonzeit
Für Fehler ihrer Regierung wird auch Malu Dreyer haftbar gemacht werden, daran kann kein Zweifel bestehen. CDU-Chefin Klöckner will ihr zwar eine gewisse Schonzeit einräumen, aber in der Sache jeweils hart bleiben. Dreyers Angebot zur Zusammenarbeit nimmt sie an, sagt jedoch auch: "Das kann sich keinesfalls nur darauf beschränken, dass wir bei schwierigen Themen mitmachen." Die Union habe in der Vergangenheit etlichen rot-grünen Anträgen im Landtag zugestimmt, umgekehrt sei das nie der Fall gewesen. Um die Tagespolitik geht es ansonsten nicht. Sondern darum, einem Politiker für sein Schaffen zu danken, ihn würdevoll zu verabschieden und seine Nachfolgerin einzuführen. Landtagspräsident Joachim Mertes, beinahe so lange im Geschäft wie Beck, erinnert sich noch an frühe Auftritte des Pfälzers. Der sei damals öfter in einer Lederjacke erschienen und pechschwarz. "Ich meine, auf dem Kopf." Von den Abgeordneten, die ihn 1994 erstmals zum Regierungschef gewählt hätten, seien nur noch fünf dabei. "18 Jahre Zustimmung des Bürgers und des Parlamentes, das ist eine Ära", sagt Mertes.
Zur Feierstunde für Kurt Beck in der Staatskanzlei erscheint am Nachmittag Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Kirche, Sport und Gesellschaft. Der Eifeler Schauspieler Mario Adorf ist etwa da, Karl Kardinal Lehmann und der Trierer Bischof Stephan Ackermann oder Ex-Fußballer Horst Eckel von Becks geliebtem 1. FC Kaiserslautern. Becks Nachfolgerin Malu Dreyer nennt ihren politischen Ziehvater vor den rund 200 Gästen einen "pragmatischen Schaffer", der glaubwürdig für soziale Gerechtigkeit gestanden und dafür gesorgt habe, dass der Strukturwandel gemeistert worden sei. Fairness und Vertragstreue, das Behandeln des Partners auf Augenhöhe - das haben die Grünen laut Wirtschaftsministerin Eveline Lemke an Kurt Beck geschätzt. Deshalb sei die Koalition sehr stabil.
In seiner Festrede würdigt Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlamentes, Kurt Beck als einen Politiker, der stets "im Dienst für seine Heimat" gewesen sei, "die er wie kein anderer Politiker seiner Generation geprägt hat". Ihn sich außer Dienst vorzustellen, sei kaum möglich. "Seit ich Kurt Beck kenne, ist er immer im Dienst gewesen, im Dienst für die Menschen, um ihr Leben besser zu machen." Schulz charakterisiert Beck als einen Politiker, der sich nicht habe verbiegen lassen, der "in strahlendsten und finstersten Momenten nicht bereit war, seinen Charakter um einen Millimeter zu verändern". Solche Politiker gebe es nur wenige, aber solche Politiker brauche Deutschland.
Der historische Tag in Mainz klingt mit einer musikalischen Einlage im Hof der Staatskanzlei aus. Kurt Beck, der Tierschützer, hat sich "Der Jäger aus Kurpfalz" gewünscht, das Heeresmusikkorps Koblenz spielt ihn ebenso wie den "Mosel-Marsch". Genau dort wird der Pfälzer auch künftig wie in all den Jahren zuvor seinen Urlaub verbringen. Die Last der Verantwortung ruht nun auf Malu Dreyer. Sie wird mit Sicherheit seinen Rat suchen, so wie viele andere Menschen.
Zum Abschied gibt's Küsschen von vielen für Kurt.

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