Kunstweinflut verebbt

TRIER/BRÜSSEL. Die Empörung war riesig, als die Agrarminister der EU im Dezember das umstrittene Weinhandelsabkommen mit den USA unterzeichneten. Mittlerweile ist es still geworden um die erwartete Flut von "Coca-Cola-Weinen", die Kritiker von einst rudern zurück. Der TV hat sich auf die Suche nach den Ursachen gemacht.

Dieser Tage in Trier, Feldstudie in Discountern: Vier von mehr als 70 Weinen im ersten Laden kommen aus den Vereinigten Staaten, im zweiten ist es einer von knapp 50. Wo ist die Billig- und Kunstweinflut gelandet, die Kritiker des Weinhandelsabkommens zwischen EU und USA auf Europa zuschwappen sahen?Überhaupt ist es ruhig geworden in der Diskussion um das Ende vergangenen Jahres unterzeichnete Abkommen. Damals hatte es wütende Proteste gegeben. Verbraucherschützer warnten vor künstlich hergestellten "Coca-Cola-Weinen" mit immer gleichem Geschmack, Winzer fürchteten um ihre Konkurrenzfähigkeit, der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) forderte ein Reinheitsgebot für deutschen Wein. Hintergrund: US-Weine können durch das Abkommen, das seit einigen Wochen offiziell in Kraft ist, ohne Einschränkung in die EU eingeführt werden. Dabei dürfen sich Winzer jenseits des Atlantiks Herstellungsmethoden bedienen, die ihren europäischen Kollegen verboten sind - dem Wein Aromen zusetzen beispielsweise oder ihn in seine Bestandteile zerlegen und nach Gusto neu zusammensetzen.

Beifall aus der falschen Ecke

Ganz besonders ärgerte die Kritiker, dass solche Methoden nicht auf dem Etikett ausgewiesen werden müssen. "Während die Prädikatsweingüter Wein als kunsthandwerklich erzeugtes Kulturgut betrachten, sehen die USA ihn als Industrieprodukt, das nach Konsumentenprofil hergestellt wird", hieß es damals in einer Pressemitteilung.

Drei Monate später liest sich das völlig anders: "Die Prädikatsweingüter distanzieren sich von der unaufrichtigen Polarisierung der Weinbereitung in böser ,US-Industriewein' und guter ,handwerklicher deutscher Wein'", heißt es nun. "Wir haben unsere Position gefunden", erklärt Sprecherin Hilke Nagel die neuen, leisen Töne. Sie sind exemplarisch für die Stimmung in der Branche. "Es ist nicht so, dass der Kunstwein kommt und alle traditionellen Winzer über den Haufen rennt", sagt Rudolf Nickenig, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbands. "Die überwiegende Zahl der US-Winzer arbeitet so wie ihre Kollegen hier bei uns."

Hintergrund des Sinneswandels ist nicht allein der Beifall aus einer falschen Ecke: Die NPD warb vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz mit dem Spruch "Deutscher Wein statt Ami-Fusel". Die Amerikaner klagen über einen Imageverlust ihrer Weine, die plötzlich unter Generalverdacht stünden, billig und künstlich zu sein. Insider berichten von Absatzproblemen, auf der Fachmesse "Pro Wein" kürzlich in Düsseldorf sollen die US-Stände wie leergefegt gewesen sein. Vor allem aber haben in der europäischen Debatte inzwischen Mahner wie der Oberfeller CDU-Europa-Abgeordnete Werner Langen Gehör gefunden. Der ehemalige rheinland-pfälzische Weinminister hatte die Kritik am Weinhandelsabkommen von Anfang an "maßlos übertrieben" genannt. Auch in der EU seien viele Weinbehandlungsmittel zugelassen, ein Reinheitsgebot für Wein mache damit keinen Sinn. Im übrigen sei der qualitativ hochwertige deutsche Wein von dem Abkommen kaum betroffen.

Nachbesserungen trotzdem erwünscht

Die neue Unaufgeregtheit bedeutet freilich nicht, dass die Weinbau-Welt in bester Ordnung wäre. An die derzeit laufenden Nachverhandlungen zum Handelsabkommen werden hohe Erwartungen geknüpft. Der VDP fordert etwa besseren Schutz für deutsche Weinnamen und bessere Möglichkeiten, deutsche Weine in die USA zu exportieren. Die CDU-Europa-Abgeordnete Christa Klass, Winzerin aus Osann-Monzel, plädiert dafür, dass die USA sich an die internationalen Regeln der Weinbereitung halten und die traditionellen europäischen Herstellungsmethoden geschützt werden. Und Weinbauverbands-Chef Nickenig verweist trotz seiner grundsätzlichen Entwarnung darauf, dass das Weinhandelsabkommen stufenweise umgesetzt wird: "Es wird noch ein Vierteljahr dauern, bis man die Folgen bewerten kann." Ausläufer der erwarteten Flut könnten damit doch noch Ladenregale der Region erreichen.

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