"Langsam werde ich ein bisschen klarer im Kopf"

Weil er seine Mutter und deren Schwester mehrfach vergewaltigt haben soll, muss sich seit gestern ein 21-jähriger Trierer vor dem Landgericht verantworten. Der alkoholabhängige Angeklagte sagt, er könne sich an nichts mehr erinnern.

Trier. "Ja", sagt Michael (Name von der Redaktion geändert) und nickt auf die Frage des Vorsitzenden Richters Albrecht Keimburg mit dem Kopf, "seit ich in der Untersuchungshaft sitze, geht es mir besser. Vorher habe ich gar nichts mehr gerafft, nur getrunken. Jetzt werde ich ein bisschen klarer im Kopf." Trotzdem fällt es dem 21-Jährigen ab und an sichtlich schwer, dem Verfahren zu folgen. Viele Fragen versteht der jünger wirkende Angeklagte mit den kurz geschorenen Haaren erst, nachdem sein Verteidiger Erhard Zimmer (Bitburg) sie wiederholt und einfacher formuliert hat. Aber selbst dann sagt er oft: "Ich weiß es nicht." Oder: "Ich kann mich nicht mehr erinnern". Das gilt auch für den Abend des 21. August letzten Jahres, als Michael gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und einem Freund seinen 21. Geburtstag feierte. Was heißt feierte? Zwei Flaschen Cognac wurden zu viert geleert, dazu etliche Biere und später noch eine große Flasche Feigling, die das Geburtstagskind alleine mit seiner Mutter trank. Danach soll es passiert sein. Zwei Mal hat Michael seine 22 Jahre ältere Mutter in jener Nacht nach deren Aussagen vergewaltigt, die Frau misshandelt und bedroht. "Der kam herein wie ein Tier, als wäre er weggetreten", sagt die als Nebenklägerin Auftretende gestern im Prozess vor der Zweiten Großen Jugendkammer.Drei Tage vor dieser Vergewaltigung soll Michael - ebenfalls nach einem wüsten Zech-Gelage - auch die Schwester seiner Mutter auf ähnliche Weise missbraucht haben. "Ich mache dich kalt, wenn du jemandem davon erzählst", habe er dem 40-jährigen Opfer gedroht, heißt es in der Anklageschrift von Staatsanwalt Stephane Parent. Aber auch an diesen Vorfall kann oder will sich der junge Mann nicht erinnern. Drei Mal pro Woche besoffen und am Wochenende auch

"Kann es denn so gewesen sein?", hakt der Richter nach. "Nein", lautet die Antwort, "ich glaube, dass meine Mutter und meine Tante lügen." Nur: Warum sollten sie das tun? Michael denkt kurz nach: "Sie können nicht verstehen, dass ich meinen Vater noch gern habe."Der Mann, den Michael seinen "Vater" nennt, ist in Wirklichkeit sein Stiefvater. Er sitzt ebenfalls hinter Gittern, verbüßt dort eine knapp zehnjährige Gefängnisstrafe. "Er hat angeblich meine Schwester vergewaltigt", sagt Michael, "was ich aber nicht glaube."Seinen leiblichen Vater kenne er nicht, sagt der Angeklagte. Irgendwann habe er per Zufall mal seinen Namen erfahren, fügt er hinzu, "aber ich habe ihn wieder vergessen."Michaels Werdegang ist schnell erzählt: Grundschule, Sonderschule ("Es war schwer, aber es ging"), danach eine dreijährige Ausbildung zum Holzbearbeiter in der Jugendhilfe-Einrichtung Helenenberg. Eine Firma, bei der er anschließend jobbt, setzt ihn nach zwei Wochen wieder auf die Straße. "Ich war unpünktlich", sagt Michael. Und er säuft. Chronisch. "Drei Mal in der Woche war ich besoffen - und am Wochenende auch", erinnert er sich.Einmal landet er in der Gerolsteiner Psychiatrie. "Da hatte ich mich geärgert und am Mosel-Ufer drei oder vier 0,7-Liter-Flaschen Schnaps getrunken", sagt Michael. Sein Leben vor der Festnahme: hochprozentig und trostlos. Michael übernachtet mal hier, mal da, und wenn er nichts findet, auch mal im Parkhaus. Der auf drei Tage angesetzte Prozess wird heute fortgesetzt.

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