"Lolita hat genervt" - Plädoyers im Mordprozess

Trier · Mord, Totschlag oder gar Freispruch? In den gestern vorgetragenen Plädoyers im Prozess um die Tötung von Lolita Brieger vor fast 30 Jahren wurde die gesamte Bandbreite eines möglichen Urteils deutlich. Angeklagt ist ein 51-jähriger Landwirt aus der Eifel.

 Der angeklagte Landwirt Josef K. versteckt sich zu Beginn der Verhandlung hinter einer Aktenmappe, um auf Fotos und Fernsehbildern nicht erkannt zu werden. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Der angeklagte Landwirt Josef K. versteckt sich zu Beginn der Verhandlung hinter einer Aktenmappe, um auf Fotos und Fernsehbildern nicht erkannt zu werden. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

"Dein letztes Stück Dreck." So soll die 18-jährige Lolita Brieger ihren Abschiedsbrief unterschrieben haben. Geschrieben vermutlich in der Nacht zum 4. November 1982. Kurz danach wurde sie zum letzten Mal lebend gesehen. Der Brief galt ihrem Ex-Freund, Josef K., einem drei Jahre älteren Sohn eines reichen Landwirts aus Scheid (Vulkaneifel), vermutlich der Vater des Kindes, mit dem sie zu dem Zeitpunkt schwanger war. Am Abend zuvor soll er sich von ihr getrennt haben und sie als "letztes Stück Dreck" bezeichnet haben.

Als "letztes Stück Dreck" habe K. sie dann auch entsorgt, sagt Staatsanwalt Eric Samel in seinem sprachlich brillanten, über einstündigem Plädoyer. Samel hat keinen Zweifel daran, dass K. Lolita Brieger am 4. November ermordet hat. K. habe sie in einem Schuppen des elterlichen Hofes mit einer Drahtschlinge erdrosselt, danach die Leiche der jungen Frau in einen Plastiksack gesteckt und zwei Tage später zusammen mit einem Kumpel auf der damals noch existierenden Mülldeponie im benachbarten, nordrhein-westfälischen Frauenkron "wie Müll" verscharrt, sagt Samel.

Drei Zeugen haben in dem seit März laufenden Prozess ausgesagt, dass sie Lolita am Tag ihres Verschwindens in der Nähe des Hofes, der damals noch K.'s Vater gehört hat, gesehen haben. Angeblich wollte die 18-Jährige mit den Eltern von Josef K. über ihre Schwangerschaft reden und vor allem den Vater, der als herrisch und egoistisch galt, überreden, seinen Widerstand gegen die Beziehung mit seinem Sohn aufzugeben. Zu diesem Gespräch ist es aber wohl nie gekommen. Lolita musste sterben, weil sie nicht zu dem sozialen Stand der reichen Bauernfamilie passte, glaubt der seit Kurzem promovierte Staatsanwalt Samel. Sie war das sechste Kind einer einkommensschwachen Familie aus dem Nachbardorf Frauenkron. Josef K.'s Vater soll seinem Sohn gedroht haben, ihn zu enterben und vom Hof zu jagen, wenn er Lolita heirate. Die Schwangerschaft, zu der er sich nicht bekennen wollte, habe K.'s Lebensplanung zerstört. "Lolita hat genervt", formuliert Samel überspitzt die Beweggründe, die aus seiner Sicht dazu geführt haben, dass K. sie ermordet hat. Das sei für ihn "eine bequeme Möglichkeit" gewesen, das Problem zu lösen. Er habe Lolita so behandelt wie er nach ihr alle Frauen, mit denen er zusammen gewesen sei, behandelt habe: "Wie ein Objekt oder wie Kaugummi, den man nach einer Zeit ausspuckt."

Samel sieht darin niedere Beweggründe und damit ein juristisches Merkmal, das notwendig ist für eine Mordanklage. Mit dem zweiten Mordmerkmal, Heimtücke, tut er sich, wie er zugeben muss, schwer. Zwar habe sie nicht damit rechnen können, von K. ermordet zu werden, auch habe er ihr, bevor er sie erdrosselt hat, den Pulli von hinten über den Kopf gezogen. Doch "objektive Beweise" gebe es dafür nicht, sagt Samel. "Es kann auch anders abgelaufen sein."

Der Staatsanwalt spielt damit auf die Kernfrage des Prozesses an: War es Mord oder Totschlag? Wegen Letzterem, wenn also das Gericht die für Mord notwendigen Merkmale nicht erkennen sollte, kann K. nicht mehr bestraft werden. Totschlag verjährt nach 20 Jahren. Mord verjährt nie. Wird K. wegen Mordes verurteilt, dann muss er, wie auch von Samel gefordert, lebenslang ins Gefängnis. "Ich lege es in die Hände des Gerichts, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen", beendet der Staatsanwalt sein schlüssiges Plädoyer.

Dem schließt sich auch der Vertreter der Nebenklage, Hans-Josef Ewertz an. Er sieht aber, anders als Samel, die Heimtücke nachgewiesen. Lolita Brieger sei arg- und wehrlos gewesen, als sie zu dem Hof gekommen sei, sagt der Anwalt, der Lolita Briegers Mutter und einer ihrer Schwestern im Prozess vertritt. K. ist bereits kurz nach dem Verschwinden der 18-Jährigen ins Visier der Ermittler geraten. Sie haben ihm aber damals nichts nachweisen können. Erst 29 Jahre später ist, nach dem der Fall im vergangenen August in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" ausgestrahlt wurde, ist der entscheidende Hinweis gekommen. Er kam von dem Mann, der K. damals geholfen haben soll, die in Folie verpackte Leiche Lolitas auf der Mülldeponie zu entsorgen. Er hat die Polizei zu der ehemaligen Müllhalde geführt, wo dann im November 2011 die sterblichen Überreste der 18-Jährigen gefunden wurden.

Mögliche Täter


Während Samel den Kronzeugen für absolut glaubwürdig hält, zerreißt K.'s Verteidiger Heinz Neuhaus die Schilderung des Kronzeugen in seinem sprachlich ebenso exzellenten Plädoyer förmlich in der Luft. Und noch mehr: Er deutet sogar an, dass er sogar der Täter sein könnte. "Der weiß mehr", sagt Neuhaus und bezeichnet den Zeugen als einen Lügner. Auch den ebenfalls früher schon einmal in Verdacht geratenen, mittlerweile verstorbenen Vater von Josef K. bringt Neuhaus als möglichen Täter ins Gespräch. Die Anklage stütze sich nur auf Vermutungen und Hypothesen, es gebe keine objektiven Beweise, die die Schuld des Angeklagten belegten, sagt der Verteidiger zum Ende seines insgesamt fast 90-minütigen durchaus schlüssigen Plädoyers, das von der Vorsitzenden Richterin Petra Schmitz nach einer Stunde für eine längere Mittagspause unterbrochen worden ist. Er überlässt es seinem Mitverteidiger, Thomas Grommes, den nach seiner Argumentation logischen Freispruch zu fordern.

Das sorgt für ein kurzes, aber deutliches Raunen im wie von Anfang des Prozesses an gut besetzten Zuschauerraum des Gerichtssaals. Unter den Zuhörern sind auch an diesem Tag Angehörige Lolita Briegers.
Der Angeklagte selbst verfolgt auch diesen, den vermutlich vorletzten Prozesstag, wie schon die Verhandlungen zuvor, schweigend, fast regungslos. Selbst als der Staatsanwalt lebenslang fordert, lässt sich Josef K., wie immer in Anzug und Krawatte, nichts anmerken. Am Schluss, beim sogenannten letzten Wort, sagt Josef K. dann doch noch etwas: "Ich schließe mich meinen Verteidigern an."

Das Urteil soll am 11. Juni um 15.30 Uhr verkündet werden.

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