Gesundheit Psychisch Erkrankte in der Region müssen Monate auf Behandlung warten

Trier/Wittlich/Mainz · In Rheinland-Pfalz liegt die Wartezeit vom ersten Kontakt zum Psychotherapeuten bis zum Behandlungsbeginn bei mehr als 19 Wochen. Das müsste nicht sein, kritisiert die Kammer, die vor Folgen für Betroffene warnt.

 Wer psychisch krank ist, muss lange auf eine Behandlung warten.

Wer psychisch krank ist, muss lange auf eine Behandlung warten.

Foto: dpa-tmn/Franziska Gabbert

Ängstigt sich ein Kind fast krankhaft vor der Schule, kann Peter Brettle helfen. Er ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wittlich. Doch da gibt es ein Problem, schildert Brettle: „Wenn das Telefon klingelt, müssen wir Anrufer oft vertrösten, weil wir schon viele Patienten haben.“ Mit fatalen Folgen für das betroffene Kind, sagt Brettle. „Wenn ich einen Jungen oder ein Mädchen erst spät behandeln kann, ist die Angst schon chronisch. Dann wird es schwerer, aus dem Loch zu kommen.“

Die Wartezeit vom ersten Kontakt bis zu einer Behandlung liegt in der Praxis des Wittlichers bei weit mehr als sechs Monaten. In ländlichen Räumen wie in Eifel und Hunsrück sei das die Regel, sagt Brettle. Selbst in den Städten sei die psychotherapeutische Versorgung nicht rosig. Im Schnitt müssen Rheinland-Pfälzer sich 19,4 Wochen gedulden, bis sie zu einer Behandlung dürfen.

Für Patienten, die an Ängsten, Burn-out oder Depressionen leiden, ist das eine lange Zeit, meint die Landespsychotherapeutenkammer, deren Präsident Brettle ist. „Wer depressiv ist, zieht sich zurück, geht nicht mehr arbeiten, muss sich morgens oft aus dem Bett quälen. Psychisch Erkrankte brauchen schnelle Hilfe“, sagt Vorstandsmitglied Sabine Maur. Die Kammer geht davon aus, dass alleine in Rheinland-Pfalz 450 Praxissitze fehlen. Sie kritisiert die Bedarfsplanung, die völlig überholt sei. „Die Pläne sind 20 Jahre alt und bilden nicht mehr die Realität ab“, moniert Vizepräsidentin Andrea Benecke. Fast jeder dritte Erwachsene (30 Prozent) erkranke an einer psychischen Störung – bis hin zu Suizidgedanken.

Die Kammer nimmt den Bund in die Pflicht, die Bedarfsplanung zu reformieren. Gesundheitsminister Jens Spahn sprach sich jüngst für eine „zügige Verbesserung“ aus. Doch mit Ergebnissen rechnet die Kammer nicht vor 2019. Dabei fehlt es nicht am nötigen Nachwuchs. „Anders als bei Hausärzten sind sogar die Stellen im ländlichen Raum schnell besetzt“, sagt Benecke. Sie sieht Nachholbedarf, auch wenn sich mit einer neuen Richtlinie des Bundes im Land immerhin die Wartezeit für ein erstes Gespräch mit dem Therapeuten von 14,2 auf 6,8 Wochen verringert hat. Grund dafür seien neue Instrumente wie eine psychotherapeutische Sprechstunde und Terminservicestellen. Doch am Ende brauche es eben auch eine Behandlung, meint Benecke.

Und wenn alle Therapeuten absagen? Dann dürfen sich Patienten auch in Privatpraxen gegen Kostenerstattung durch die Kassen behandeln lassen, behauptet die Kammer. Doch in einer internen Umfrage zeigt sich, das 86 Prozent der rheinland-pfälzischen Kammer-Mitglieder sagen, die Bewilligung der Kosten habe sich 2017 verschlechtert. Die Kammer stellt Vorwürfe in den Raum, wonach Kassen Patienten vereinzelt falsch informieren oder mit einer Hinhaltetaktik zermürben.

Die Kassen widersprechen heftig. Die AOK Rheinland-Pfalz teilt mit, „dass unsere Versicherten bei akuten Situationen, die eine dringende professionelle Hilfe erfordern, eine schnelle, unbürokratische und bedarfsgerechte Versorgung erhalten.“ Nicht jede Kostenbewilligung könne bei privaten Therapeuten genehmigt werden. Besonders wichtig sei, inwieweit aus einem Antrag hervorgehe, ob der Versicherte mehrfach erfolglos versucht habe, eine Behandlung bei einem Vertragstherapeuten zu beginnen. Auch die Techniker Krankenkasse teilt mit, Anträge im Rahmen geltender Gesetze zu prüfen. „Pauschale Ablehnungen mit der oben genannten Begründung entsprechen nicht unserem Verständnis einer Patientenversorgung und sind uns nicht bekannt“, sagt eine Sprecherin.

Die Kammer sieht das anders – berichtet hingegen davon, dass neuerdings immer mehr Anrufe verzweifelter Patienten bei ihr eingingen, die keine Therapeuten finden. „Es gibt Menschen, die davon sprechen, keine Kraft mehr zu haben“, sagt Geschäftsführerin Petra Regelin. Die Aufgabe, sich um die Anrufer zu kümmern, habe die Kammer eigentlich nicht. Auflegen könne sie aber auch nicht. „Es gibt sogar viele Menschen, die am Telefon Suizidgedanken äußern.“

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