Parteien Parteitag: Wie AfD-Politiker im Land miteinander abrechnen

Bingen · Zwei Lager machen sich beim Parteitag harte Vorwürfe von Indiskretionen und Mobbing. Der Vorsitzende Uwe Junge erlebt einen Dämpfer.

 AfD-Landeschef Uwe Junge

AfD-Landeschef Uwe Junge

Foto: TV/Florian Schlecht

Der Name „Christen“ steht auf einem Schild. Doch der Platz, an dem Christiane Christen sitzen soll, bleibt leer. Die AfD-Politikerin verzichtet darauf, am Tisch des Landesvorstands zu sitzen, direkt neben Parteichef Uwe Junge, mit dem sie ein Verhältnis verbindet wie das Feuer mit dem Wasser. Christen steht beim Landesparteitag der AfD lieber in einer hinteren Ecke des Raumes, spricht mit kratziger Stimme, geschwächt von einer Angina, in ein Mikrofon. Sechs Anträge bringt Christen ein, mit denen sie die Landespartei umwälzen möchte. Einer soll sich darum drehen, den Anteil von Mandatsträgern im Vorstand zu verringern und den Chefposten einem Kopf zu überlassen, der in keinem Parlament sitzt, anders als Junge, der Fraktionschef im rheinland-pfälzischen Landtag ist. Kein Antrag landet auf der Tagesordnung, mit teils knapper Mehrheit scheitert Christen mit jedem Vorschlag an den gut 300 Mitgliedern, die in Bingen im Saal sitzen.

Ihr erster Aufschlag scheitert, doch Christen gibt nicht auf. Als der Rechnungsbericht der Landespartei auf den Tisch kommt, schreitet die scheidende Parteivize mit einem alternativen Papier nach vorne. Und attackiert den Vorstand scharf. Ihr pikanter Angriff: Sie habe ein juristisches Gutachten, das den Vorwurf bestätige, wonach Parteifinanzen veruntreut worden seien. Christen bezieht sich auf 36 000 Euro, die von Juli 2015 bis Mai 2017 an Anwalts- und Gerichtskosten geflossen seien und die der Vorstand erst im Nachgang gebilligt habe. Wie könne es sein, fragt Christen, dass Rheinland-Pfalz so viel Geld ausgebe. Den Bundesvorstand habe sie gebeten, eine Untersuchungskommission gegen die Landespartei zu gründen, was dessen Sprecher hingegen auf TV-Anfrage nicht bestätigen kann.

Dann wendet sie sich an den Vorstands­tisch: „Ich habe nicht vor, euch anzuzeigen, aber Ihr verweigert mir seit Jahren ein Gespräch.“ Es ist der Moment, in dem die zerstrittenen Lager in der Landes-Partei aufeinanderprallen. Parteivize Joachim Paul weist die Christen-Vorwürfe scharf zurück. Der Tenor: Es gebe eine Gegenleistung für die 36 000 Euro: teure Rechtsberatung. Laut AfD ging es um Fälle gegen SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer, SPD-Vize Ralf Stegner und den SWR. „Wer Ahnung hat vom Leben, der weiß, dass gute Juristen Geld kosten“, sagt Paul. Mit Blick auf Christen sagt er: „Ich hoffe, das traurige Kapitel der Selbstinszenierung hat bald ein Ende.“

Der Trierer Michael Frisch, der mit Paul nun Landesvize ist, wirft Christen vor, sie habe ständig Dinge öffentlich gemacht, skandalisiert, Nebelkerzen gezündet. Matthias Joa sagt, Christen habe sich durch Indiskretionen selber isoliert. Ihr Angriff sei ein Angriff auf alle AfD-Mitglieder. Das schmeckt nicht allen Mitgliedern im Saal. Joa erntet einzelne Buh- und Pfuirufe. Völlig ernüchtert, mit leiser Stimme, tritt Ruth Kappesser ans Mikrofon. Die Schatzmeisterin, die zuvor haderte, ob sie erneut antreten soll, wirft das Handtuch. Die AfD in Rheinland-Pfalz trete im Umgang miteinander nicht als Vorbild auf, schlussfolgert sie.

Der Mann, auf den Christen mit ihren Angriffen besonders zielt, sitzt beim Gefecht seiner Gegnerin nicht mehr am Platz: Uwe Junge. Ihm wirft die AfD-Chefin aus dem Rhein-Pfalz-Kreis den Führungsstil vor, sogar von Mobbing ist die Rede. In einer E-Mail, die dem TV vorliegt, schrieb Junge an Christen: „Make your fucking job.“ Auf deutsch, nett ausgedrückt: „Erledige deine verdammte Arbeit.“ 

Junge bestätigt dem TV, ihr diesen Satz sogar gesagt zu haben, behauptet aber, dieser sei aus dem Zusammenhang gerissen. Christen habe es nicht geschafft, die ihr anvertraute Koordination der Kreise zu organisieren. „Den Satz habe ich dann im Brass gesagt.“ Junge sagt, er fahre keinen autoritären, sondern einen kooperativen Führungsstil. Gegner von Christen behaupten, sie fahre einen Rachefeldzug, weil sie in der Landes-AfD nicht aufgestiegen, nicht auf der Bundesliste gestanden habe. Junge sagt: „Wenn wir vertraulich gesprochen haben, standen Inhalte manchmal zwei Tage später auf Facebook.“ Später, als der AfD-Chef erneut als Vorsitzender kandidiert, verdeutlicht er Christen: „Meine Tür steht immer für alle offen, nur du hast es nicht verstanden.“ Junge warnt auch vor „Heckenschützen“ in eigenen Reihen. „Der wahre Feind ist da draußen, nicht hier im Raum“, sagt er.

Die Wahl zum Vorsitzenden übersteht der 60-Jährige. Sein Gegenkandidat, Matthias Tönsmann, der dem Vorstand „Ämterhäufung“ und „Raffgier“ vorwirft, kann Junge nicht gefährlich werden. Seine Rede wirkt fahrig, Tönsmann ist erst kurz in der AfD, beruflich Lehrer „im Sabbatical“. Junge setzt sich am Ende mit 74,6 Prozent der gültigen Stimmen durch, weniger als 2015 (89,6 Prozent).

Und Christen? AfD-Mitglied wolle sie bleiben, sagt sie nach den Machtspielen. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Partei den Vorstand überlebt“, meint sie, witzelt über „Christen“-Verfolgung in der AfD. Dann beendet sie das Gespräch und sagt: „Das können Sie ruhig schreiben.“

Was sonst noch beim Parteitag geschah:

Junge will regieren: Uwe Junge hat angekündigt, den „Ampelspuk“ der Koalition aus SPD, FDP und Grünen im Land beenden zu wollen. Bis 2021 wolle er für Mehrheiten kämpfen, damit die AfD stärkste Kraft werde und Regierungsverantwortung übernehmen könne.

Trierer rückt auf: Der Landtagsabgeordnete Michael Frisch steigt in der Partei auf. Er ist nun neuer zweiter Stellvertreter des Vorsitzenden.

Vorstand nicht offiziell entlastet: Der alte AfD-Landesvorstand konnte wegen einer Panne nicht offiziell entlastet werden, sondern nur symbolisch. Einer von zwei notwendigen Rechnungsprüfern war nicht nach Bingen gekommen.

Fall Petry soll nicht passieren: Ein Fall wie bei Frauke Petry, bei der eine Abgeordnete aus der Partei austritt und trotzdem im Parlament bleibt, will die Landes-AfD verhindern. Mitglieder stimmten mehrheitlich für eine freiwillige Ehrenerklärung, mit der ein Parlamentsmandat bei Aufgabe oder Verlust der Mitgliedschaft unverzüglich niedergelegt wird. Der Antrag kam von Jens Ahnemüller (Konz).

Das Gehirn eines 14-Jährigen: Ein Antrag kam nicht zur Aussprache. Dort wurde gefordert, Wählerinformationen künftig mit Bild-Botschaften zu verbreiten. Begründung des AfD-Mitglieds: „Unser Wähler hat etwa das Hirn eines 14-Jährigen.“

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