Rot-Grüner Modellversuch: Nachbüffeln statt sitzenbleiben

Mainz · Die Landesregierung will ausgewählte Schulen in einem Modellversuch ausloten lassen, ob mit verstärkter individueller Förderung das Wiederholen einer Klasse überflüssig gemacht werden kann. Abschaffen will Rot-Grün das Sitzenbleiben aber nicht.

 Förderung statt. Ehrenrunde: Das will Rot-Grün in Rheinland-Pfalz in einem Modellversuch testen. Foto: Gero Breloer

Förderung statt. Ehrenrunde: Das will Rot-Grün in Rheinland-Pfalz in einem Modellversuch testen. Foto: Gero Breloer

Eine "Ehrenrunde" drehen: 1,7 Prozent aller rheinland-pfälzischen Schüler haben im vergangenen Jahr dieses Schicksal erlitten. Die meisten haben eine Klasse gezwungenermaßen, manche aber auch freiwillig wiederholt. Grundsätzlich sei das schlecht, sagt Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) und verweist auf die Ergebnisse der Pisa-Studie, die genau das im Jahr 2000 aufgezeigt habe.

Weder SPD noch Grüne verstehen die Aufregung, die um einen Modellversuch entbrannt ist, der bald starten soll. Etwa zehn Schulen landesweit sollen selbstverantwortlich testen, ob es andere Möglichkeiten gibt, als eine Klasse zu wiederholen. Ruth Ratter von den Grünen nennt am Donnerstag im Landtag etwa Nacharbeiten und Nachprüfungen.

Die Bildungsministerin wirft der CDU vor, nur eine Phantomdebatte zu führen. Früher sei schon die Abschaffung der Gymnasien oder der Förderschulen oder der Noten gemutmaßt worden, nichts davon habe sich bewahrheitet.

"Das Sitzenbleiben wird nicht abgeschafft", stellt Ahnen unmissverständlich fest. "Wir wollen nur das Wiederholen überflüssig machen", ergänzt sie.

CDU-Sprecher Guido Ernst glaubt das nicht so recht. Offenbar fehle Rot-Grün nur der Mut, es gleich so zu machen wie Niedersachsen, deshalb wähle man "den Umweg über einen Modellversuch". Das Versprechen der Landesregierung, man könne durch verstärkte individuelle Förderung das Sitzenbleiben überflüssig machen, halte dem Schulalltag nicht stand, meint der CDU-Sprecher. Die Klassengrößen lägen in der Mittelstufe bei 30 Schülern, es gebe Unterrichtsausfall und bis 2016 würden 2000 Lehrerstellen gestrichen.

Antwort der SPD-Abgeordneten Bettina Brück: "Im Lesen und Verstehen verdient die CDU-Fraktion die Note sechs." Wer vom Abschaffen des Sitzenbleibens spreche, verfehle das Thema, schüre bewusst Emotionen und verschleiere die Wahrheit.

Die "schwarze Pädagogik" der 1970er Jahre, Schüler mit Druck zum Lernerfolg zu führen, sei längst widerlegt, kontert Ruth Ratter. "Kinder können nur lernen, wenn es ihnen gutgeht", sagt die Grüne. Sitzenbleiben sei keine Fördermaßnahme, sondern schade den Schülern, weil sie ihr soziales Umfeld verlören, stigmatisiert und demotiviert würden.

Der Lehrerverband VBE verweist auf die Kosten von mehr als 36 Millionen Euro, die durch das Sitzenbleiben entstünden. Das sei ökonomisch und pädagogisch unsinnig. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hält nichts vom Sitzenbleiben und begrüßt den Modellversuch.

Demgegenüber verweist der Philologenverband auf eine Forsa-Umfrage, derzufolge drei Viertel der Bevölkerung gegen das Abschaffen des Sitzenbleibens seien. "Richtig verärgert sind wir darüber, dass die Abschaffung des Sitzenbleibens als pädagogische Maßnahme gepriesen wird, in Wirklichkeit aber nur ein Sparmodell ist", kritisiert der Landesvorsitzende Malte Blümke.

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