Schwitzende Experten, besorgte Bürger

TRIER/CATTENOM. (red) Störfall im Block fünf des Kernkraftwerks Cattenom an der Obermosel. Radioaktivität ist ausgetreten. Dieses Horrorszenario war Grundlage einer grenzüberschreitenden Katastrophenschutzübung am Donnerstag.

Um 4.41 beginnt die Katastrophe. Aus einem Leck im fünften Reaktorblock des französischen Kernkraftwerks Cattenom tritt radioaktiver Dampf aus. Um fünf Uhr werden die knapp 70 leitenden Angestellten des Kraftwerks aus dem Schlaf gerissen und per Telefon in die Atomzentrale gerufen. 20 Führungskräfte ziehen sich sofort in die Bunker unweit des Kraftwerks zurück. Sie steuern das weitere Geschehen. Zwei Arbeiter des Kraftwerks ziehen sich bei der Reparatur des Lecks schwere Verbrennungen zu, außerdem werden sie verstrahlt. Um 9.40 kommt es zu einem weiteren Leck. Soweit das Szenario, mit dem gestern in Cattenom, Metz, Saarbrücken, Luxemburg und Trier der Ernstfall geprobt wurde. In der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier laufen alle Fäden zusammen. Hier sitzt die Katastrophenschutzleitung für das Land. 60 Experten von Feuerwehr, Polizei, Innen- und Umweltministerium, ADD und der Kreisverwaltung Trier-Saarburg nehmen an der Übung teil. In der Leitstelle laufen ständig neue E-Mails und Faxe aus Frankreich, dem Saarland und Luxemburg ein. Auf einer Videowand werden die neuesten Messwerte und Nachrichten aus Cattenom projiziert. Im Vordergrund der Übung steht die Kommunikation - mit den Kraftwerksbetreibern, mit den anderen Ländern, vor allem aber mit der Öffentlichkeit. Es geht weniger darum, den Katastrophenschutz zu üben, sondern um Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Und dafür gibt es ein mehrseitiges Drehbuch. Darin steht zum Beispiel, dass eine besorgte Kindergärtnerin anruft und fragt, ob sie alle Kinder nach Hause schicken soll, dass der Fernsehsender CNN eine Live-Schaltung machen will, dass Bürger anrufen, nach Jodtabletten fragen und jemand seine selbst genommenen Bodenproben abgeben will. Mit solchen Anrufen müssen sich die Mitarbeiter des Bürgertelefons und der Pressestelle an diesem Tag herumschlagen. Drei Mal gibt es fiktive Pressekonferenzen mit echten und falschen, weil "gespielte", Journalisten. Und das, was diese dabei zu hören bekommen, hat man in der oder in einer ähnlichen Form bei vergleichbaren Katastrophen immer wieder zu hören bekommen: "Es bestand und besteht keine Gefahr für die Bevölkerung", weil der Wind "günstig" stehe. Und mehr als einmal bringen die Journalisten die Experten ins Schwitzen, wenn sie fragen, warum die Bevölkerung so spät informiert worden ist, warum bei der ADD-Pressestelle seit Stunden veraltete Informationen verbreitet werden, warum eine angegebene Internet-Seite nicht funktioniert und warum Voralarm ausgelöst wurde, wenn keine Gefahr für die Bevölkerung bestehe. Schnell offenbaren sich die Defizite: Die Informationen aus Frankreich sind nicht ausreichend genug, liegen mitunter zu spät vor und die Experten sind halt keine Profis in Sachen Pressearbeit. Hin und wieder muss ADD-Chef Josef-Peter Mertes sie darauf hinweisen, dass ihre Antworten für eine echte Pressekonferenz nicht ausreichend gewesen sind. "Man sieht einfach, wie wichtig es ist, dass wir so was mal üben", sagt Mertes nachher. Denn selbst das beste Drehbuch kann den Ernstfall nicht realistisch darstellen.

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