Justiz Steht der offene Vollzug auf der Kippe?

Trier · Der Prozess gegen Wittlicher JVA-Beamte sorgt für Kritik und könnte landesweit Folgen haben.

 Symbol Justiz Haft Gefängnis JVA Wittlich

Symbol Justiz Haft Gefängnis JVA Wittlich

Foto: TV/Klaus Kimmling

Zwei Monate nach Beginn des Prozesses gegen drei rheinland-pfälzische Justizvollzugsbedienstete gibt es scharfe Kritik an der Anklageschrift der Limburger Staatsanwaltschaft. „Wenn mir ein Jurastudent eine solche Anklage als Lösung einer Klausuraufgabe präsentieren würde, ließe ich ihn durchfallen“, sagt der Trierer Strafrechtsprofessor Mark A. Zöller. Sein Urteil über den bis Ende April terminierten Prozess: „Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Verfahren.“

Das macht schon ein Blick auf die Anklagebank des Limburger Landgerichts deutlich. Dort sitzen unter anderem die stellvertretende Leiterin der JVA Wittlich und ein dort arbeitender Kollege. Gemeinsam mit einem dritten JVA-Bediensteten aus Diez sollen sie eine Mitschuld an der zwei Jahre zurückliegenden Todesfahrt eines Häftlings haben. Sie sollen ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt und sich „nicht hinreichend mit dem Täter beschäftigt“ haben, meinte der Limburger Oberstaatsanwalt Joachim Herrchen vor Prozessbeginn. Der Häftling war im offenen Vollzug auf der Flucht vor der Polizei mit seinem Wagen in den Gegenverkehr gerast und mit einem anderen Fahrzeug kollidiert. Eine 22-jährige Frau starb.

Das Limburger Landgericht wertete die Todesfahrt des Freigängers als Mord und verurteilte den 45-Jährigen zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Der allein 22 Mal wegen Fahrens ohne Führerschein vorbestrafte Mann war bei dem Crash wieder ohne Führerschein und mit gestohlenen Nummernschildern unterwegs. Hätte die Todesfahrt verhindert werden können, wenn – wie es der Staatsanwalt im Prozess gegen den Angeklagten sagte – „der Justizvollzug funktioniert hätte“? Weil die Limburger Ankläger dafür Anhaltspunkte sehen, müssen sich die drei JVA-Beamten aus Wittlich und Diez seit Dezember vor Gericht verantworten – wegen fahrlässiger Körperverletzung und Beihilfe zum Fahren ohne Führerschein.

 „Wenn es zu einer Verurteilung kommt, hat das Auswirkungen auf den kompletten offenen Vollzug“, prophezeit der Trierer Strafrechtler  Mark A. Zöller. „Dann lassen wir hier bestimmt keinen mehr raus“, sagt der Wittlicher JVA-Leiter Jörn Patzak. Aktuell sind in der Wittlicher Justizvollzugsanstalt nur 30 der insgesamt 62 Haftplätze im offenen Vollzug belegt.  Vor zwei Jahren waren es fast alle. Auch landesweit ist die Belegungsquote im offenen Vollzug deutlich zurückgegangen  – von nahezu 100 Prozent im August 2015 auf 61 Prozent zwei Jahre später.

Auf die Frage nach den Gründen verweist ein Sprecher des Mainzer Justizministeriums auf „individuelle Entscheidungen“ in den einzelnen Gefängnissen. Andere, wie der  Trierer Strafrechtsprofessor Zöller, verweisen dagegen auf den laufenden Prozess gegen die drei JVA-Beamten.

Der emeritierte Trierer Strafrechtsprofessor Hans-Heiner Kühne springt den Limburger Anklägern zur Seite: Die Anklage sei nicht hundertprozentig zwingend, aber auch nicht abwegig, meint Kühne.

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