Trierer Mutterhaus: Station nimmt wieder Frühchen auf

Trier · Ein keimfreies Krankenhaus gibt es nicht. Es bestehe immer die Gefahr, dass sich Patienten mit Bakterien infizieren, sagt der Freiburger Hygienearzt Sebastian Schulz-Stübner. Er arbeitet für das Trierer Mutterhaus und hilft der Klinik im Umgang mit den auf der Kinderintensivstation nachgewiesenen Bakterien.

Trier. Es riecht intensiv auf der Frühgeborenenstation des Trie rer Mutterhauses. Der Geruch auf dem frisch geputzten Gang und in den Zimmern beißt etwas in der Nase. "Das soll so sein", sagt der Chefarzt der Abteilung Wolfgang Thomas. Die komplette Station ist einen Tag zuvor desinfiziert und grundgereinigt worden. Seit 18. Oktober war sie gesperrt für Neuaufnahmen. Grund: Auf der benachbarten Kinderintensivstation ist bei mittlerweile zwölf Kindern, allesamt Frühchen, der Keim Serratia marcescens nachgewiesen worden (der TV berichtete). Obwohl das Bakterium, das für die meisten Menschen ungefährlich ist und häufig in der Natur vorkommt, auf der Frühgeborenenstation nicht nachgewiesen worden ist, wurde auch sie vorsorglich geschlossen.
Als vergangene Woche das letzte dort betreute Kind entlassen worden war, rückten die Reinigungskräfte und Hygieniker an. Die gesamte Station wurde leergeräumt. Selbst das Schwesternzimmer. Jede Aktenablage, jeder Schrank, jede Schublade wurde geräumt. Das gesamte Material - Verband, Pflaster, Kanülen - sei entsorgt worden, sagt Harald Michels, Leiter des Trierer Gesundheitsamtes.
Dann sei alles, jede Oberfläche, jede Wand gereinigt und danach mehrmals desinfiziert worden, sagt Chefarzt Thomas. Gestern Morgen hat der Gesundheitsamtschef die Station wieder freigegeben. Am Nachmittag sollten dann die ersten Frühchen dort wieder aufgenommen werden. Die Kinderintensivstation bleibt noch geschlossen. Vermutlich bis Januar. Dann kann voraussichtlich das letzte dort behandelte Baby entlassen werden. Danach soll die Station genauso wie die Frühgeborenenstation gereinigt und desinfiziert werden.
Es sei vorbildlich, wie das Mutterhaus mit den im August erstmals auf der Kinderintensivstation nachgewiesenen Keimen umgegangen sei, sagt Sebastian Schulz-Stübner. Der Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin arbeitet am Beratungszentrum für Hygiene in Freiburg und unterstützt das Mutterhaus bei Hygienefragen. Nachdem bei einem extrem frühgeborenen Baby eine Infektion mit Serratien nachgewiesen wurde, seien die Hygienemaßnahmen verschärft worden, obwohl dies in den Richtlinien für den Umgang mit solchen Keimen gar nicht vorgesehen sei, sagt Schulz-Stübner. Auch dass die Kinderintensivstation und vorsorglich die Frühgeborenenstation frühzeitig für Neuaufnahmen geschlossen und die Öffentlichkeit darüber informiert worden seien, sei für Kliniken eher außergewöhnlich. "Das Frühwarnsystem hat schnell und konsequent funktioniert." Nachdem zunächst bei sieben Kinder der Keim nachgewiesen wurde - nur eines hat sich damit infiziert, ist aber nicht erkrankt - hatten sich die Krankenhaus-Verantwortlichen zu dem Schritt entschlossen. Unabhängig von dem wirtschaftlichen Schaden, den eine Schließung von kompletten Stationen immer mit sich bringe, sagt Mutterhaus-Geschäftsführer Jörg Mehr. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Sicherheit der Neugeborenen im Mittelpunkt stehen müsse. Trotzdem ist der Keim nach Schließung der Intensivstation bei sieben weiteren Frühgeborenen nachgewiesen worden. Sie wurden bereits vor dem Aufnahmestopp dort behandelt.Wolfsburger Klinik betroffen


Auch im Klinikum im niedersächsischen Wolfsburg sind bei fünf Frühchen Serratien nachgewiesen worden. Genau wie im Mutterhaus ist auch dort die Intensivstation für Frühgeborene geschlossen worden. Man stehe im engen Kontakt mit den dortigen Ärzten, bestätigt der medizinische Geschäftsführer des Mutterhauses, Oliver Kunitz.
Ob tatsächlich herausgefunden werden kann, wie sich der Keim auf der Kinderintensivstation des Trierer Mutterhauses verbreitet hat, sei unklar, sagt Schulz-Stübner. Bis Ende des Jahres sei mit den Ergebnissen der Untersuchung zu rechnen.
Auch wenn, wie im aktuellen Fall, ausgerechnet die Frühchenstation betroffen sei, seien Keime im Krankenhaus nicht zu vermeiden, so der Hygieneexperte. "Leben heißt Bakterien." Der menschliche Körper sei nun mal mit Tausenden von Keimen besiedelt. Nicht alle seien gefährlich, einige könnten aber für Kranke gefährlich werden. Um das Ansteckungsrisiko in Kliniken zu verringern, sei in den vergangenen Jahren einiges getan worden, sagt Schulz-Stübner. Fast alle Krankenhäuser hätten mittlerweile Hygienefachkräfte. Auch würden in vielen Häusern nicht mehr wahllos Antibiotika verabreicht. Antibiotika bekämpfen bakterielle Infektionen. Weil die Arzneimittel aber zu häufig auch bei Krankheiten eingesetzt werden, bei denen sie wirkungslos sind und zudem über Fleisch (Antibiotika werden auch in der Tiermast verwendet) unbewusst eingenommen werden, sind viele Menschen resistent gegen bestimmte Antibiotika. Dadurch können sich gefährliche Keime ungehemmt verbreiten. Auch in Kliniken.
Doch in den vergangenen Jahren sei festzustellen, dass die Zahl der Infektionen durch gegen Antibiotika resistente Bakterien zurückgegangen sei, sagt Schulz-Stübner. Das hat auch eine Untersuchung des Trierer Gesundheitsamtes in einem Krankenhaus in der Region ergeben.
Im Mutterhaus versucht man die Verbreitung von Keimen neben Händedesinfektion durch Verhaltensänderung zu verhindern. "Wir geben uns zur Begrüßung nicht mehr die Hand", erklärt Chefarzt Thomas und zeigt auf das Plakat am Eingang der Kinderintensivstation auf dem steht: "Wir begrüßen uns mit einem Lächeln und verzichten auf das Händeschütteln."Extra

In Deutschland werden jährlich bis zu 600 000 Patienten krank durchs Krankenhaus. Sie ziehen sich eine Infektion durch sogenannte Krankenhauskeime zu. EU-weit infizieren sich Patienten bei jeder zehnten Klinikbehandlung. Die Folgen, so die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, sind oft ein verlängerter Klinikaufenthalt, schlimmstenfalls eine Lungenentzündung, die tödlich enden kann. Vor allem für Menschen mit schwachem Immunsystem können die Keime lebensbedrohlich sein. Viele der Bakterien sind gegen Antibiotika resistent. Etliche Infektionen seien vermeidbar, heißt es. Bis zu 38 Prozent der Keime stammen von anderen Patienten oder vom Pflegepersonal. red

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