"Verschrobene Gedankengänge"

TRIER. Vergleichsweise glimpflich endete das Strafverfahren gegen einen 51-Jährigen, der den Croupier der Trierer Spielbank mit einer scharfen Waffe bedroht hatte. Aus der schweren räuberischen Erpressung wurde in der Beweisaufnahme eine Nötigung – statt denkbarer sieben Jahre Freiheitsstrafe blieb es bei dreieinhalb.

 Die Kugel rollt: Wie auf diesem in der Spielbank Trier aufgenommenen Foto waren auch am Abend des Überfalls die Spieltische besetzt. Foto: TV-Archiv

Die Kugel rollt: Wie auf diesem in der Spielbank Trier aufgenommenen Foto waren auch am Abend des Überfalls die Spieltische besetzt. Foto: TV-Archiv

Manchmal müssen Gerichte ungewöhnliche Wege gehen, um sich sachkundig zu machen. Die 3. Große Strafkammer am Landgericht Trier hat ein Kinder-Roulettespiel mitgebracht, um das sich am Richtertisch ein halbes Dutzend Erwachsene scharen. Die Materie ist kompliziert, ebenso wie die Gedankengänge von Zockern, die sich dem Nicht-Spieler bisweilen nur mühsam erschließen. Peter D. kennt sich mit Roulette aus. Der gelernte Schreinermeister aus Merzig ist keiner von den Junkies, die ihr ganzes Leben am Spieltisch verbringen. Eher eine Art Quartalsspieler. In Saarbrücken hat er gezockt, bis er mal "ein bisschen viel" verlor. Ende Oktober 2004 begann er seine "Serie" in Trier, kam alle drei Tage, um nach einem bestimmten System zu spielen. "Progressives Spiel" heißt das in Fachkreisen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Der Spieler sucht sich eine bestimmte Gewinnvariante, auf die er setzt. Peter D. entscheidet sich für das "Dutzend", zwölf Zahlen am Stück. Bei insgesamt 36 Roulette-Ziffern eine statistische Chance von eins zu drei. Er beginnt mit einem kleinen Einsatz und verdoppelt jedes Mal, wenn er nicht gewinnt. Irgendwann, so das Kalkül, muss "sein" Dutzend kommen, und dann hat er nicht nur seinen Einsatz zurück, sondern auch noch einen Gewinn erzielt.Keine Raub-Absicht nachzuweisen

Der Haken an der Sache: Dauert es zu lange, dann wird der Einsatz mörderisch hoch. Spätestens beim elften Mal, erzählt ein Experte der Spielbank, müsse die passende Zahl fallen, sonst stößt der Spieler an das hauseigene Limit - wenn er nicht schon vorher pleite ist. Zehn Wochen lang hat das Prinzip bei Peter D. funktioniert - bis zum 8. Januar 2005. Dann kommt 14 Mal hintereinander keine seiner Zahlen - er verliert 16 000 Euro. Viel Geld für einen, der sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält und als 51-Jähriger noch im Haushalt seiner Mutter lebt. Peter D. rastet aus. Er fühlt sich vom Croupier betrogen. Der Waffennarr - bei ihm Zuhause findet die Polizei später etliche illegale Schusswaffen - holt aus seinem Auto einen geladenen, eigenhändig aufgemotzten Revolver. Er geht zurück in die Spielbank, zielt auf den Croupier und verlangt mit den Worten "Jetzt spielst du um dein Leben", der Mann solle die Roulettekugel auf eine ganz bestimmte Zahlengruppe drehen. Es dauert nur Sekunden, bis ihn beherzte Gäste und Casino-Mitarbeiter zu Boden werfen und entwaffnen. Dabei fällt ein Schuss, der wie durch ein Wunder niemanden trifft und in der Wand landet. D's Handlungsweise gibt den Verfahrensbeteiligten Rätsel auf. Von "verschrobenen Gedankengängen" und "einem Hauch von Unsinnigkeit" spricht die Staatsanwaltschaft. Auch die Kammer versucht mehrfach, eine Erklärung dafür zu finden, warum D. ausgerechnet eine derart unerfüllbare Forderung durchsetzen wollte. Aber der ansonsten voll geständige Angeklagte kann selbst keine rechte Erklärung für seinen "Aussetzer" liefern. Die wahrscheinlichste Lösung nennt der betroffene Croupier, dem anzumerken ist, wie ihn der Vorgang heute noch mitnimmt. D. habe wohl "testen wollen", ob der Croupier in der Lage sei, tatsächlich die Zahlen zu manipulieren. "Und, können Sie's?", fragt das Gericht mit belustigtem Unterton. "Dann müsste ich längst nicht mehr arbeiten", sagt der Zeuge. Für Peter D. wird die Frage nach dem Beweggrund letztlich zur Entlastung. Die Staatsanwaltschaft zieht den Vorwurf, er habe mit vorgehaltener Waffe einen Raub begehen wollen, um sein Geld wieder zu bekommen, zurück. Dennoch bleiben versuchte schwere Nötigung, Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz. Statt fünf Jahre aufwärts wie bei Raub kann es das Gericht bei den von der Anklage geforderten dreieinhalb Jahren bewenden lassen.

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