Wenig Braun im deutschen Verfassungsschutz

Bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sind seit dem Zweiten Weltkrieg allerhand Verstrickungen zutagegetreten. Nun haben Historiker erforscht, ob es auch Flecken auf der Weste des Verfassungsschutzes gibt.

 Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Foto: dpa

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Foto: dpa

Nazi-Richter gelangten massenhaft in die Nachkriegsjustiz. NS-Diplomaten ins neue Auswärtige Amt. Und der Bundesnachrichtendienst ging sogar direkt aus der Organisation Gehlen hervor, obwohl Gehlen der Generalmajor in Hitlers Oberkommando des Heeres gewesen war. Das alles wurde und wird seit einigen Jahren in Projekten zur Geschichtsaufarbeitung erforscht. Nun hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz ermitteln lassen, wie braun seine Vergangenheit ist. Zwischenergebnis: gering. Die beiden Historiker der Ruhr-Universität Bochum, Constantin Goschler und Michael Wala, die 2011 von dem Amt den Auftrag für die Untersuchung bekommen hatten, legten gestern in Berlin einen Zwischenbericht vor. Sie überprüften rund 1500 Verfassungsschutzmitarbeiter der Jahrgänge 1929 und früher auf ihre NS-Belastung. Ergebnis: 205, etwa 13 Prozent, waren Mitglieder in der NSDAP oder anderen NS-Organisationen gewesen. Freilich enthalten die Zahlen vom Präsidenten bis zur Putzfrau alle möglichen Mitarbeiter des neuen Verfassungsschutzes, außerdem sagen sie nichts über die Funktion der Betreffenden im NS-Apparat aus. Relevanter sind die 24 festgestellten ehemaligen Mitglieder von NS-Sicherheitsorganisationen wie SS, SA oder Gestapo. Dass es so wenige waren, hatte mit den Gründungsjahren zu tun. Erster Präsident war Otto John, der zum Widerstand des 20. Juli 1944 gehört hatte. Und die Alliierten kontrollierten bis in die 1950er Jahre streng, wer neu eingestellt wurde. Ausgestellter Persilschein

Bei einfachen Parteimitgliedern reichte die Entnazifizierung zwar als Persilschein aus. Bei Mitgliedern des Nazi-Sicherheitsapparates aber machten die Siegermächte dicht. Die 24, die Goschler und Wala trotzdem ausfindig machten, kamen zunächst in einer Tarnfirma unter. Andere in einem der Landesämter, wo die Kontrollen nicht so streng waren. Als die Alliierten dann Mitte der 1950er Jahre ihre Aufsicht einstellten und John 1955 abtrat, wurden diese ehemaligen Nazi-Sicherheitsleute eingestellt. Jetzt war ein Ablehnungskriterium nur noch ein eventuelles strafrechtliches Vergehen. Doch war keiner der 24 verurteilt worden; auch wegen der Laschheit in den damaligen NS-Prozessen. Zwei Seilschaften wurden von den Forschern ausgemacht: eine Gruppe, die zur Zeit der Besatzung in Paris Funktionen hatte, mindestens indirekt auch bei Deportationen, eine weitere aus dem Reichssicherheitshauptamt. Die Ehemaligen konzentrierten sich in der Spionageabwehr, wo Erfahrung gesucht wurde. Es herrschte Kalter Krieg. Als es in den 1960er Jahren einen Abhörskandal der Amerikaner gab, wurde öffentlich ruchbar, dass Nazi-Schergen im Verfassungsschutz daran beteiligt waren. 16 von ihnen wurden daraufhin aus dem Amt entfernt und in andere Behörden versetzt. Strenger wurde danach auch die Beurteilung durch die Öffentlichkeit. Johns Nachfolger Hubert Schrübbers musste 1972 abtreten, als seine frühere Tätigkeit als NS-Richter in die Schlagzeilen geriet. Insgesamt, so die Forscher, gab es im Bundesamt für Verfassungsschutz in den ersten Nachkriegsjahrzehnten aber keinen "prägenden" Einfluss ehemaliger Nazi-Leute, wohl aber einige "cliquenhafte Verdichtungen". Wenn es Fehler des Amtes gebe und gegeben habe, dann nicht wegen eventueller brauner Wurzeln. "Diese Erklärung greift zu kurz", so Goschler und Wala. Weitere Informationen: verfassungsschutz.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort