Regierungsbildung SPD-Mitglieder machen Weg frei für neue große Koalition

Berlin/Trier · Es war eine Zitterpartie bis zum Schluss: Nach Jamaika-Aus und schwierigen GroKo-Verhandlungen kann Angela Merkel sich wieder zur Kanzlerin wählen lassen. Doch es ist eine Koalition mit Risiken. Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Malu Dreyer hat das Mitgliedervotum begrüßt.

Nach fünf Monaten politischer Unsicherheit haben die SPD-Mitglieder den Weg für eine neue große Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) frei gemacht. Beim Votum über den mit CDU/CSU ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmte eine Mehrheit von 66,02 Prozent der Mitglieder mit Ja, wie die SPD am Sonntag in Berlin mitteilte. Es wird bereits die dritte große Koalition für die seit 2005 regierende Merkel.

Insgesamt wurden 378 437 Stimmen abgegeben. Stimmberechtigt waren 463 722 Mitglieder. Die Beteiligung lag damit bei 78,39 Prozent. 239 604 Mitglieder stimmten mit Ja, 123 329 mit Nein. Das gab der für die Auszählung zuständige Schatzmeister Dietmar Nietan bekannt. 161 Tage nach der Bundestagswahl geht damit die bislang längste Regierungsbildung in die Endphase. Die Wahl Merkels zur Kanzlerin ist für den 14. März im Bundestag geplant. Dort wird nun die rechtspopulistische AfD größte Oppositionspartei sein.

SPD-Vize Malu Dreyer „froh über klares Ergebnis“

Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Malu Dreyer hat das Mitgliedervotum für eine Fortsetzung der großen Koalition begrüßt. „Ich bin froh, dass es so ein klares Ergebnis gab“, sagt die Trierer SPD-Politikerin am Sonntagmorgen volksfreund.de Dreyer äußerte sich zuversichtlich, dass die innerparteiliche Diskussion über die Groko nicht zu einem Zerwürfnis führen wird. „Wir hatten unterschiedliche Haltungen in einer Sachfrage, und jetzt gibt es ein klares Ergebnis“, sagte Dreyer, die derzeit an einer Klausur des Parteivorstands in Berlin teilnimmt. Sie glaube nicht, dass nun Gräben überwinden werden müssten. Zu möglichen Kandidaten für die SPD-Ministerriege wollte sich Dreyer nicht äußern. Die Entscheidung falle erst in den nächsten Tagen, und erst danach werde das Personaltableau verkündet. Es gilt als sicher, dass die geschäftsführende Familien- und Arbeitsministerin Katarina Barley aus Schweich auch dem neuen Kabinett angehören wird.

Der Trierer Juso-Vorsitzende Jens Mühlenfeld zeigte sich erleichtert über das klare Ergebnis. „Ein sehr knappes Ergebnis hätte die Partei womöglich vor eine große Zerreißprobe gestellt“, sagte Mühlenfeld im Gespräch mit volksfreund.de Er forderte die Partei auf, den Erneuerungsprozess weiterzuführen. Die Beteuerungen dürften keine leeren Versprechungen bleiben. Der Trierer SPD-Landtagsabgeordnete Sven Teuber, wie Mühlenfeld ein Groko-Kritiker, zeigte sich zuversichtlich, dass die SPD zu alter Stärke zurückfinden könne. Eine Voraussetzung: Die Bundestagsfraktion müsse merklich Selbstbewusstsein tanken, um den eigenen Kompass der Werte gegenüber der Union auch zu verteidigen. „Das darf nicht einfach immer so weiter geräuschlos gehen, indem man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt“, so der Trierer SPD-Parlamentarier.

Bündnis mit Probezeit

Wie stabil das Bündnis sein wird, muss sich noch zeigen. Die SPD will nach zwei Jahren überprüfen, wie zufrieden sie damit ist.

Zunächst waren mehrwöchige Sondierungen über eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen gescheitert, die FDP ließ die Gespräche am 19. November platzen. Nachdem die SPD wegen des Absturzes auf 20,5 Prozent direkt nach der Wahl den Gang in die Opposition angekündigt und eine erneute große Koalition ausgeschlossen hatte, ließ sie sich von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Pflicht nehmen.

Ein Sonderparteitag gab im Januar mit knapper Mehrheit grünes Licht für Koalitionsverhandlungen. Nach deren Ende trat der immer stärker in die Kritik geratene Parteichef Martin Schulz zurück. Auch den Plan, Außenminister zu werden, gab er nach zwei Tagen auf. An der Basis war es zu massivem Protest gekommen, da Schulz zuvor den Gang in ein Kabinett von Merkel kategorisch ausgeschlossen hatte.

Den SPD-Vorsitz soll Andrea Nahles als erste Frau in der SPD-Geschichte bei einem Sonderparteitag am 22. April übernehmen. Bis dahin führt Olaf Scholz die SPD kommissarisch. Der Hamburger Bürgermeister soll Bundesfinanzminister und Vizekanzler werden.

Die SPD-Spitze will die Besetzung ihrer sechs Ministerien - darunter auch Außen und Arbeit/Soziales - in den nächsten Tagen bekanntgeben. Die Postenfrage sollte wegen des Argwohns an der Basis bewusst vom Ergebnis des Mitgliederentscheids entkoppelt werden. Mit Spannung wird erwartet, wer das Auswärtige Amt bekommen wird - Amtsinhaber und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel steht vor der Ablösung. Ihm wird ein zerrüttetes Verhältnis zu Scholz und Nahles nachgesagt.

Die CSU wird wohl an diesem Montag ihre drei Ministernamen publik machen. Bekannt ist, dass CSU-Chef Horst Seehofer das Ressort Innen, Bauen und Heimat übernehmen soll. Zudem bekommt die CSU Verkehr und Entwicklung. Die CDU entsendet folgende Minister in das Kabinett: Peter Altmaier (Wirtschaft), Jens Spahn (Gesundheit), Ursula von der Leyen (Verteidigung), Anja Karliczek (Bildung), Julia Klöckner (Agrar), Helge Braun (Kanzleramt).

Stimmberechtigt bei dem Votum waren 463 723 SPD-Mitglieder. Die Kosten für das Votum beliefen sich nach SPD-Angaben auf rund 1,5 Millionen Euro. 2013 stimmten 256 643 Mitglieder mit Ja, das entsprach einer Zustimmung von 75,96 Prozent. Damals gab es unter anderem wegen des ausgehandelten Mindestlohns eine weitaus positivere Stimmung zur großen Koalition als jetzt.

Mit Union und SPD dürfen die beiden großen Wahlverlierer nun wieder eine Koalition bilden - zusammen büßten sie rund 14 Prozentpunkte ein. In der SPD werden die bisherigen Regierungen mit Merkel für den Verlust von Profil und klarer Kante verantwortlich gemacht. Viele Mitglieder sehnen sich nach einem linkeren Kurs.

Juso-Chef Kevin Kühnert hatte massiv Stimmung gegen eine neue große Koalition gemacht. Die Jusos starteten eine Kampagne, um neue Mitglieder zu gewinnen, die gegen die GroKo stimmen. Daraufhin traten seit Jahresbeginn 24 339 Menschen in die SPD ein.

(dpa/sey)
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