Politik Staatsräson oder Partei lautet die letzte Frage

Berlin · Die SPD steht vor einer schwierigen Abwägung. Die Argumente Pro und Kontra einer neuen großen Koalition.

 Zeigt sich vor der Runde gut gelaunt: Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz spricht  vor der Fortsetzung der Sondierungsgespräche zwischen SPD, CDU und CSU in der SPD-Zentrale in Berlin zu den Medienvertretern. 

Zeigt sich vor der Runde gut gelaunt: Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz spricht  vor der Fortsetzung der Sondierungsgespräche zwischen SPD, CDU und CSU in der SPD-Zentrale in Berlin zu den Medienvertretern. 

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Wenn die GroKo-Sondierungen beendet sind, muss der SPD-Parteivorstand sein Votum für den Parteitag am übernächsten Sonntag abgeben: Soll man förmliche Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnehmen oder nicht? Gibt es Alternativen zu einer neuen GroKo? Folgende Argumente wägen die Sozialdemokraten ab.

Pro:

Die staatspolitische Verantwortung. Nachdem die FDP die Jamaika-Verhandlungen hat platzen lassen, liegt dieser Schwarze Peter nun bei der SPD. Auch wenn es ungerecht ist, aber sie und nicht die Union würde verantwortlich gemacht, wenn auch die GroKo nicht zustande käme. Hinzu kommt: Wenn Neuwahlen notwendig werden, hätte Deutschland fast ein Jahr lang keine Regierung. Der Nimbus eines politisch stabilen Landes wäre angekratzt. So etwas schwächt nicht nur den internationalen Einfluss, Stichwort Europa, sondern auch die Wirtschaft.

Die Angst vor Neuwahlen. Neuwahlen jetzt würden erhebliche personelle und inhaltliche Debatten, wenn nicht gar Chaos in der SPD auslösen; Martin Schulz müsste um Vorsitz und Spitzenkandidatur bangen. Bei der Union ginge es vergleichsweise stabil zu, Angela Merkel träte erneut an. Am Ende würde das Wahlergebnis an der Ausgangslage für die SPD wenig ändern und wäre wahrscheinlich sogar noch schlechter als heute. Anders ist es, wenn später gewählt wird: Dann ist Unruhe bei der Union, weil Merkel geht. Die SPD hätte sogar die Option, die neue Regierung vorzeitig scheitern zu lassen. Die Taktik muss also lauten: Augen zu und durch.

Die Inhalte. Die Partei muss sich fragen, ob sie in einer anderen Konstellation für ihre Wähler mehr durchsetzen könnte als mit einer Union, der auch an einer GroKo gelegen ist. Mit der FDP in einer Ampel sicher nicht. Und mit Rot-Rot-Grün? Dazu müssten sich Linke und SPD noch sehr aufeinanderzubewegen, was Zeit braucht. Außerdem gibt es dafür derzeit keine Mehrheit. Was der SPD bleibt, auch wenn es ihr notorisch schwerfällt: Mal nicht jammern über das nicht Erreichte, sondern mit dem Erreichten werben.

Kontra:

Die GroKo ist abgewählt worden. Minus 15 Prozent erhielten Union und SPD im September zusammen, ein deutliches Zeichen: Die Bürger wollten kein Weiter so. Beide Parteien schafften es in den Sondierungen nicht, ihrem Bündnis so etwas wie eine Philosophie einzuhauchen, die die Leute begeistern könnte. Nach der Wahl analysierte man zu Recht, dass es Union und SPD an Unterscheidbarkeit fehle. Dieser Zustand würde mit einer neuen GroKo fortgesetzt. Es ist durchaus möglich, dass sich die Leute dann noch weiter von den Volksparteien abwenden.

Der Erneuerungsprozess würde gestoppt. Die SPD wollte sich in der Opposition grundlegend regenerieren; neues Personal aufbauen, die innerparteiliche Mitbestimmung entwickeln, das Programm schärfen. In der GroKo aber gilt vom ersten Tag an Koalitionsdisziplin. Grundsätzliche Debatten sind da ebenso wenig erwünscht wie Mitgliederentscheide, die die Regierungspolitik stören. Und das alte Personal bliebe womöglich auf den Ministersesseln sitzen. Der Generationswechsel würde vertagt, der Erneuerungsprozess verschoben.

Die AfD wäre stärkste Oppositionspartei. Die GroKo bedeutet automatisch die Stärkung der kleineren Parteien. Die AfD könnte sich mit ihrem „Merkel muss weg“-Slogan weiter profilieren; sie wäre dann sogar stärkste Oppositionspartei im Bundestag. Aber auch FDP, Grüne und Linke würden sich an der Regierung reiben. Die Gefahr besteht, dass sie alle größer und die SPD, wie vielleicht auch die CDU, kleiner werden. Staatspolitische Verantwortung hin und her – gibt es nicht auch eine Verantwortung gegenüber der eigenen Partei?

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