15, 18, 20 Prozent oder gar nichts? - Versuch einer Trinkgeld-Revolution in Amerika

Washington · Danny Meyer ist dabei, die New Yorker Gastronomie zu revolutionieren, aber nicht etwa, indem er auf aufregende Variationen dessen setzt, was man in Amerika "fusion cuisine" nennt, der Vermählung so unterschiedlicher Nationalküchen wie, sagen wir, der portugiesischen mit der nepalesischen. Vielmehr hat Meyer beschlossen, das Trinkgeld abzuschaffen.

 Für ihre Euros bekommen Urlauber derzeit deutlich weniger US-Dollar - in den Staaten können sie sich somit weniger leisten. Foto: Andrea Warnecke

Für ihre Euros bekommen Urlauber derzeit deutlich weniger US-Dollar - in den Staaten können sie sich somit weniger leisten. Foto: Andrea Warnecke

Von November an gilt das für all seine 13 Lokale, unter denen sich mit dem "Modern", angesiedelt im Hof des Museum of Modern Art in Manhattan, ein ziemliches Juwel befindet. Nur soll das Signal eben eine Wirkung entfalten, die weit hinausreicht über das Danny-Meyer-Imperium.

Wohlgemerkt, es geht um atemberaubenden Wandel, um den Abschied vom "Tip", der in amerikanischen Restaurants so opulent ausfällt, dass Touristen, die zum ersten Mal über den Großen Teich fliegen, gut beraten sind, rechtzeitig die Landessitten zu studieren, wollen sie sich nicht als notorische Geizhälse blamieren. "Tip", ist von Historikern zu erfahren, steht abgekürzt für die Floskel "To Insure Promptitude", sich prompter Bedienung versichern, und geht zurück auf die Aristokraten der Alten Welt. Als das Bürgertum der Neuen Welt die Praxis zu übernehmen begann, schon um zu zeigen, dass es sich - von wegen provinziell - auskannte mit den Regeln Europas, gab es heftige Proteste. Die Anti-Tipping-Bewegung, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts formierte, sprach von undemokratischer, ergo unamerikanischer Erniedrigung des Dienstpersonals. Und heute sind Amerikaner Weltmeister in Sachen Tip.

Der Kellnerin beziehungsweise dem Kellner, nachdem sie/er sich namentlich vorgestellt hat ("Hi folks. My name is Samantha, and I'm serving you tonight") und zwischendurch mindestens fünfmal nachgefragt hat, ob alles in Ordnung sei, ob es den "folks" an irgendwas fehle, stehen 15, 18 oder 20 Prozent Trinkgeld zu. Damit der Kunde nicht lange grübeln muss, wird der Betrag zur Orientierung oft gleich mit auf die Rechnung gedruckt, in drei Varianten, verbunden mit der unausgesprochenen Aufforderung, auf gar keinen Fall unter der niedrigsten zu bleiben. Wobei 15 Prozent in Städten wie New York oder Washington mittlerweile schon als knausrig gelten und 25-prozentige Aufschläge allmählich zur Norm werden.

Übrigens, bei "Miss Manners", der Benimmberatungsrubrik der "Washington Post", ging es einmal um die Frage, wie sich ein Norweger, der schon seit geraumer Zeit in den USA lebt, doch nach wie vor nicht an die Philosophie des Trinkgeldzahlens glaubt, im Angesicht der Rechnung verhalten soll. Die Antwort an die ratsuchende Leserin fiel ziemlich kurz aus. "Sagen Sie Ihrem Freund, er braucht an die Philosophie nicht zu glauben. Alles was er tun muss, ist, den Tip zu berappen." Falls er etwas auszusetzen habe, möge er sich ans Management wenden, seinem Ärger aber um Himmels willen nicht in Form gekürzten Trinkgelds Ausdruck verleihen. Schließlich gleiche das Bakschisch - Bitte beachten, mindestens 15 Prozent! - nur aus, was an Grundgehalt fehle. Ohne ihn komme kein Kellner über die Runden.

Der gesetzliche Mindestlohn, in den meisten Bundesstaaten liegt er bei 7,25 Dollar pro Stunde, gilt in aller Regel nicht für Beschäftigte, die regelmäßig Tips kassieren. Für sie gilt stattdessen ein Sub-Mindestlohn, und der ist in New York 2011 auf fünf Dollar gestiegen, nachdem er lange bei 2,13 Dollar eingefroren war. Das dringend reformbedürftige System, schreibt Saru Jayaraman, Dozentin an der kalifornischen Universität Berkeley, bringe ein Ausmaß an sexueller Belästigung hervor, wie es keine andere Branche zu beklagen habe. Zu schätzungsweise 70 Prozent seien es Frauen, die in Restaurants servierten, "und solange sie vom Trinkgeld leben, sind sie gezwungen, ungebührliches oder gar demütigendes Benehmen seitens ihrer Kunden, Kollegen und Chefs zu tolerieren".

Danny Meyer, so scheint es, hat die Beschwerden erhört. Er will den Grundlohn anheben, sodass man auch ohne Tip von einem Job in der Gastronomie halbwegs leben kann. Zwar werden die Speisekarten seiner Etablissements höhere Preise ausweisen, unterm Strich aber dürfte es aufs Gleiche hinauslaufen. Ob er zufrieden war oder nicht, soll der Gast fortan durch die Vergabe von Sternchen erkennen lassen, so ähnlich, wie es bereits nach einer Fahrt mit dem Taxi-Ersatz Uber geschieht. Das neue Bewertungssystem, glaubt Meyer, sei präziser als jenes, bei dem ein 15-Prozent-Obolus die Mindestpflicht sei und sich so gut wie niemand wage, die Marke zu unterschreiten. "Heute weiß ich gar nicht, wo die Schwachstellen in unseren Teams liegen. Das wird sich hoffentlich ändern."

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