30 Jahre nach Tschernobyl: Sorge um Atommeiler - Experte: Terroristen nehmen Anlagen in Belgien und Frankreich ins Visier

Trier · Die Atomkraftwerke in Belgien und Frankreich sind nach Ansicht eines Experten besonders verwundbar für Terroranschläge. Beide Länder versichern jedoch, dass die Anlagen sicher seien vor Angriffen.

26. April 1986. Im ukrainischen Tschernobyl kommt es zu einer Reaktorkatastrophe. 400 Mal mehr Radioaktivität als nach der Atombombe im japanischen Hiroshima dringt nach außen. Noch heute sind die Folgen dieses Atomunfalls in Tschernobyl zu spüren. Tschernobyl oder auch die Katastrophe von Fukushima zeigten, welche Folgen ein terroristischer Anschlag auf ein Kernkraftwerk haben könnte, sagt Heinz Smital, Atomexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Wenn dadurch Radioaktivität freigesetzt werde, dann hätten solche Terrorakte weitreichendere Folgen als die Anschläge von New York, Paris oder Brüssel, sagt Smital gegenüber unserer Zeitung. Ähnlich wie das Bundeskriminalamt hält er die Wahrscheinlichkeit terroristischer Anschläge auf Atomanlagen für gering. "Sie müssen aber in Betracht gezogen werden."

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Laut des in Frankreich lebenden Nuklearexperten und Trägers des alternativen Nobelpreises, Mycle Schneider, stehen die Atomanlagen in Belgien und Frankreich "offenbar ganz oben auf der Liste der terroristischen" Vereinigungen. Frankreich und Belgien betonen immer wieder, dass ihre Anlagen ausreichend gegen Terror geschützt seien.

Schneider sagt jedoch, die Kernkraftwerke in den beiden Ländern, wie etwa Tihange oder Cattenom, seien "verwundbarer als die heute noch in Deutschland betriebenen Anlagen". Als Beispiel nennt er die Brennelementelager, die in Tihange oder Cattenom anders als etwa in deutschen Anlagen nicht unter einer dicken Betonhülle untergebracht seien.

Ein bis heute ungeklärter Sabotageakt im belgischen Atomkraftwerk Doel 4 im Jahr 2014 ist für Schneider ein Beleg dafür, wie vergleichsweise einfach ein Anschlag auf eine solche Anlage wäre. 65.000 Liter Schmieröl bei einer Dampfturbine waren damals über ein absichtlich aufgedrehtes Ventil ausgelaufen. Daraufhin überhitzte sich die Turbine, der Reaktor schaltete sich automatisch ab. Bis heute seien die Täter nicht gefasst worden. Im Herbst 2014 werden über einigen französischen Atomkraftwerken, auch über Cattenom, Drohnen gesichtet. Experten sehen auch darin einen Anhaltspunkt für mögliche Anschläge. Schneider sieht auch in der finanziellen Lage der Kraftwerksbetreiber in Belgien und Frankreich eine weitere Gefahr. Stellenabbau und Sparprogramme hätten negative Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau.

Unterdessen sorgen in Belgien Enthüllungen der französichen Tageszeitung Le Soir für Aufregung. Sie nähren alte Zweifel an der Unabhängigkeit der belgischen Atomaufsicht. Ihr wird schon lange unterstellt, dass sie eine zu große Nähe zum Betreiber der sieben Reaktorblöcke Belgiens hat: Electrabel.

In diese Kerbe haut auch der Bericht. Dort heißt es etwa: "Es herrscht der Eindruck, dass sich die Unabhängigkeit der Kontrollbehörde gegenüber der Welt der Politik und der Wirtschaft Schritt für Schritt verringert." Die Mitarbeiter stellten sich immer drängender die Frage, ob "die Führung der Behörde nicht von außen unter Druck gesetzt werde, bei bestimmten Fragen Kompromisse zu machen." Der Chef der Aufsichtsbehörde, Jan Bens, hat - wie seine Vorgänger auch - zunächst Karriere bei der Betreiberfirma der Atomanlagen gemacht. Er leitete das Kraftwerk in Doel.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte wegen wiederholter Störfälle in den belgischen Reaktoren die belgische Regierung vergeblich gebeten, Doel und Tihange vom Netz zu nehmen. Auch Luxemburg fordert Belgien zu einer Abschaltung der Reaktoren auf.

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