4. September: Ein Spätsommer-Märchen

Montag, 4. September, morgens gegen 11 Uhr im Olympiastadion München. Für Edwin Klein (24) und Karl-Hans Riehm (21) steht die erste Olympia-Aufgabe an - die Qualifikation im Hammerwerfen.

66 Meter sind nötig, um ins Finale zu kommen. Das ist für die beiden Leichtathleten vom TV Germania Trier keine Herausforderung. Riehm zieht die lange Trainingshose gar nicht erst aus. "Das habe ich damals jeden Tag aus der kalten Hose geworfen", sagt er. Aber Olympia ist anders, im eigenen Land, vor einem euphorischen Publikum. Riehm wird Jahre später Weltrekorde schleudern und Titel sammeln. Aber an diesem Spätsommer-Tag dreht die Nervosität mit: "Ich habe einen ‚Ungültigen\' geworfen. Das ist mir sonst nie passiert."
Edwin Klein hat die Bilder noch im Kopf, den Jubel im Ohr. "Das war nur die Qualifikation, es war morgens - und trotzdem hatten wir das Gefühl, uns platzt das Trommelfell." Beide schaffen die Qualifikation. Das heißt: Morgen ein Ruhetag und dann volle Konzentration auf das Finale am 6. September. Am besten, ohne sich im olympischen Dorf allzu sehr ablenken zu lassen. Denn Ruhetag und olympisches Dorf - das passt über eine Woche nach der Eröffnung der Spiele nicht in den gleichen Satz. In den Diskotheken werden Medaillen gefeiert, Enttäuschungen im Alkohol ertränkt. Das Team der Bundesrepublik hat fünf Tage lang auf das erste Gold warten müssen. Aber selbst der Boulevard bleibt geschmeidig: "Die anderen siegen, wir bleiben heiter!", titelt die Abendzeitung München. 36 Jahre nach Olympia in Berlin sollte nichts, aber auch gar nichts an Hitler-Deutschland erinnern. Wer seinen Wettkampf noch vor sich hat, muss schon mal flüchten. "Im olympischen Dorf war der Teufel los", sagt Klein, der sich mit Riehm und fünf weiteren Teamkollegen ein 130-Quadratmeter-Apartment teilt. Die Zwei-Wochen-Heimat: Ein Wohnblock in der Connolly-Straße, krachneu, sechster Stock, mit Balkon. Die Stimmung ist entspannt, die Kontrollen sind lasch.
"Ich schleuse dich morgen ins Dorf", sagt Karl-Hans Riehm zu seiner Freundin Elfriede, die mit seinen Eltern in Dachau untergebracht ist. "Das ist kein Problem. Ich bekomme dich hier rein. Ich besorge dir einfach eine Akkreditierung von einer Mannschaftskameradin." Dazu kommt es nicht mehr. Andreas Feichtner

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