Ab 2007 wird’s ernst

Berlin . Die EU-Kommission hat gestern angekündigt, Brüssel werde den Druck erhöhen und das seit 2003 ausgesetzte Defizit-Strafverfahren gegen Deutschland verschärfen.

Die Bundesregierung muss demnach bis spätestens 14. Juli mitteilen, mit welchen Maßnahmen sie das seit Jahren überhöhte Haushaltsdefizit "nachvollziehbar" bekämpfen will. Ansonsten drohen drastische Strafmaßnahmen, schlimmstenfalls Bußgelder in Milliardenhöhe. Trotz dieser harschen Nachricht aus Brüssel gab es gestern in Berlin keine zerknirschten Gesichter. Auch nicht in den Reihen der Bundesregierung. Viele Jahre hatten Berlin und Brüssel zum Teil erbittert um das deutsche Defizit gestritten, das in diesem Jahr laut Haushaltsplanung zum fünften Mal die strengen Maastrichter EU-Kriterien nicht erfüllt, wonach das gesamtstaatliche Defizit nicht höher als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen darf. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder und sein Finanzchef Hans Eichel hatten in Brüssel wiederholt "den dicken Max" markiert und den Eindruck erweckt, als ginge sie das EU-Regelwerk für stabile Haushalte nichts an. Nach harten Auseinandersetzungen war ein Verfahren gegen Deutschland 2003 zunächst auf Eis gelegt worden. Es schloss sich ein Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof an, der die Situation aber nicht klar entschied. Die Kehrtwende wurde Ende 2005 mit dem Koalitionsvertrag eingeläutet, in dem sich Union und SPD ausdrücklich verpflichten, dass "die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes eingehalten und die daraus erwachsenen Konsolidierungsfolgen für die Staatsfinanzen respektiert werden". Das Ziel: Die Drei-Prozent-Defizitgrenze des EU-Paktes wird "spätestens 2007" wieder eingehalten. Deshalb hatte sich Peer Steinbrück (SPD) von Anfang an auch nicht gegen eine schärfere Gangart Brüssels zur Wehr gesetzt. Im Gegenteil. Unmittelbar vor der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2006 im Kabinett, bekannte der Minister vor neun Tagen: "Es ist meine feste Überzeugung, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe eine besondere Verantwortung für die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes hat. Dies wird von uns nicht in Frage gestellt." Im engen Kreis sprach der Minister gar "vom notwendigen Strafverfahren gegen Deutschland im Interesse der Stabilität und Gesamtglaubwürdigkeit Europas". Gestern sagte Steinbrück, er sei mit der verschärften Gangart der EU-Kommission einverstanden. Hinter diesem neuen und selbstsicheren Auftreten der schwarz-roten Bundesregierung steckt ein mit Brüssel detailliert abgestimmter Plan, an dessen Erstellung drei Partner in mehreren vertraulichen Gesprächsrunden beteiligt waren: Kanzlerin Angela Merkel, Peer Steinbrück und EU-Finanz- und Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia. Danach gilt, dass Deutschland in diesem Jahr die Maastrichter Kriterien noch einmal reißen wird, das wäre dann das fünfte Mal in Folge. Im Haushaltsplan stehen 3,3 statt der geforderten maximal drei Prozent. Ab 2007 ist dann aber Schluss mit lustig. Und so wird denn im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, den Steinbrück dem Bundeskabinett schon am 5. Juli zur Abstimmung vorlegen wird, die "magische Zahl" 2,5 Prozent stehen. Möglich wird diese Absenkung durch drastische Sparmaßnahmen in vielen Bereichen. Vor allem hilft aber die geplante Mehrwertsteuererhöhung von drei Prozentpunkten, dass Deutschland ab 2007 beste Chancen hat, die Vorgaben wieder zu meistern. Das Szenario, das hinter den Kulissen zwischen Berlin und Brüssel besprochen wurde, sieht wie folgt aus: Am 14. März werden die Finanzminister der EU dem gestern von der Kommission angedrohten Strafpaket gegen Deutschland zustimmen. Zu den "Folterwerkzeugen" des Paktes gehört zum Beispiel, dass die Berichtspflicht Deutschlands deutlich verschärft wird. Berlin hat dann vier Monate Zeit zu beweisen, dass der Defizitabbau energisch angepackt wird. Dieser Nachweis soll spätestens mit dem Haushaltsentwurf 2007 erbracht werden. Akzeptiert Brüssel diese Etatplanung, werden im Verlauf des Juli alle angedrohten Strafmaßnahmen vorerst ausgesetzt. Berlin wäre aus dem Schneider. Geht es aber 2007 wider Erwarten erneut schief, muss die Bundesrepublik damit rechnen, dass die angedrohten EU-Strafen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro verhängt werden. Dazu wird es aber vermutlich nicht kommen. Was selbst die Opposition so einschätzt. FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms glaubt, dass Deutschland schon 2006 die Kriterien schaffen könnte: "Die Regierung bleibt aufgefordert, das zu versuchen."

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