Ab in die Geschichtsbücher!

20 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl ist noch ein Viertel der Fläche im besonders betroffenen Weißrussland verstrahlt - das entspricht dem Gebiet Niedersachsens. Mehr als 250 000 Hektar Ackerfläche dürfen nicht bewirtschaftet werden, riesige Wälder sind Sperrgebiete, 480 Dörfer und Siedlungen wurden zurückgelassen, 137 000 Menschen umgesiedelt.

Wie viele Todesopfer das Unglück gekostet hat oder noch kosten wird, ist ungewiss - die niedrigsten Schätzungen gehen von 4000 aus. Selbst in Deutschland, im Bayerischen Wald zum Beispiel, sind Wild und Waldpilze weiterhin strahlenbelastet. Hinzu kommt die Gefahr, die von der Ruine des Unglücksreaktors ausgeht: Durch den Betonmantel dringt Radioaktivität an die Luft, und eindringender Regen wäscht sie ins Grundwasser. Befürworter von Kernkraft, die, die den deutschen Atomausstieg rückgängig machen oder hinauszögern wollen, verweisen auf die hohen Sicherheitsstandards: Tschernobyl werde sich nicht wiederholen. Doch bessere Vorkehrungen können ein Unglück zwar unwahrscheinlicher machen, aber niemals ausschließen - von der Gefahr durch Terroristen ganz zu schweigen. Dazu kommt, dass nicht nur die Reaktoren selbst Risiken bergen, sondern Atommüll-Transporte und Endlagerung ebenso. Auch andere Argumente für die Kernkraft erweisen sich bei genauerem Hinsehen als wenig stichhaltig. Dass sie den Strompreis senke, zum Beispiel: Er orientiere sich immer am teuersten Produzenten, sagen Experten - das sind in Deutschland Kohle- und Gaskraftwerke. Ein Festhalten an der preiswerten Kernenergie käme damit nicht den Verbrauchern zugute, sondern würde die Gewinnspanne von Konzerne erhöhen, die Reaktoren betreiben. Und eine größere Unabhängigkeit vom Öl, die immer wieder als Argument für Kernkraft ins Feld geführt wird, ist auch über regenerative Energien zu erreichen. Deren Entwicklung aber würde durch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke verzögert oder gar ausgebremst. 20 Jahre Tschernobyl: Die in diesen Tagen auflebende Erinnerung an die Katastrophe sollte Anlass sein, der Kernkraft endgültig eine Absage zu erteilen. Sie gehört als Lehrstück für die Gefahren unbeherrschbarer Technologien in die Geschichtsbücher - und ansonsten verboten. Deutschland kann mit einem Festhalten am Atomausstieg ein deutliches Zeichen in diese Richtung setzen. i.kreutz@volksfreund.de

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