Abends zum Umtrunk ins Kanzleramt

BERLIN. Genau ein Jahr nach der Wahl von CDU-Chefin Angela Merkel zur Kanzlerin haben Koalition und Opposition gestern im Bundestag eine erste Bilanz des Bündnisses aus Union und SPD gezogen. Anlass war die Generalaussprache über den Kanzler-Haushalt, die von der Opposition traditionell zur Abrechnung mit dem Regierungskurs genutzt wird.

"Ja, regieren macht Freude", tat Angela Merkel gestern per Zeitungsinterview kund. Die Haushaltsdebatte im Bundestag verlief entsprechend. Bei SPD und Union herrschte Stimmung wie beim Betriebsjubiläum. Abends trafen sich Kabinett und Fraktionsspitzen zu einem Umtrunk im Kanzleramt. Man feierte den ersten Jahrestag der Zusammenarbeit. Dem Anlass entsprechend wurde jeder verdiente Mitarbeiter, hier also jeder Minister, in der Debatte lobend erwähnt. Sei es von der Kanzlerin, sei es von den Rednern der Koalition. Nur die Ressorts Justiz, Verkehr und Landwirtschaft gingen leer aus. Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktionschef, hatte für die Kanzlerin einen Strauß Rosen in Merkels Lieblingsfarbe Lachs mitgebracht. Sein SPD-Kollege Peter Struck war ohne Geschenk. Strucks nachgeschobene Erklärung, er beteilige sich natürlich zur Hälfte an Kauders Kosten, konnte den Fauxpas nicht wirklich ausräumen. Beide Fraktionschefs waren voll des Lobes über das Vertrauen, das man zueinander habe. Das ging bis hin zu einem theatralischen Händedruck. Struck, der häufiger über Führungsmängel Merkels gestänkert hatte, wirkte jetzt sanft - offensichtlich die Wirkung einer langen Aussprache, die er kürzlich bei einem Abendessen mit der Kanzlerin hatte. Jedenfalls fiel auf, dass ausgerechnet der SPD-Mann den angeschlagenen CDU-Verteidigungsminister Franz Josef Jung lobte. Als der Sozialdemokrat dann noch meinte, er und seine CDU-Kollegen "trinken öfter mal einen zusammen, als Sie von der Opposition glauben", hatte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel endlich einen Ansatzpunkt zum Kontern: "Nüchtern ist Ihre Politik ja auch nicht zu ertragen." Die plötzliche gute Laune in der Koalition hat mit den Wirtschaftszahlen zu tun. Angela Merkel zählte sie auf: Wachstum, gesunkene Arbeitslosigkeit, sprudelnde Steuereinnahmen. "Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann." Die Bundeskanzlerin erinnerte daran, dass viele Experten ein Einbrechen der Konjunktur wegen der Mehrwertsteuererhöhung vorhergesagt hatten. "Mancher Kassandra-Rufer ist ins Stottern geraten." Allerdings, die Menschen habe man noch nicht gewonnen, räumte die Kanzlerin ein. "Da ist noch ein Stück Arbeit vor uns." Die Opposition fand keine klare Angriffslinie. Gregor Gysi von der Linken kritisierte die "Kriegseinsätze" der Bundeswehr, ein Wort, mit dem er sich selbst links außen stellte. Außerdem versuchte er mit ein bisschen Klamauk "die CDU mal dazu zu bringen, bei mir zu klatschen", was ihm erst gelang, als er sagte, seine Redezeit sei begrenzt. Rainer Brüderle bemüht den Bond-Martini

Renate Künast von den Grünen wählte das eher exotische Thema Klimapolitik als Schwerpunkt. Und FDP-Redner Rainer Brüderle vergriff sich mit einem Vergleich: Die Politik der großen Koalition sei wie der Martini von James Bond. Sie habe die Menschen geschüttelt, aber nicht gerührt. Im neuen Bond-Film ist, was Brüderle wohl nicht wusste, dem Helden die Zubereitungsweise egal. Aus dem oppositionellen Kleinklein ragte einzig der Hinweis heraus, dass der Wirtschaftsaufschwung nichts mit der aktuellen Regierung zu tun habe. "Sie streichen die Reformdividende von Rot-Grün ein", sagte Künast, während die FDP alles mit der Weltwirtschaft erklärte. Guido Westerwelle hatte sogar Redeausschnitte Gerhard Schröders aus dem Jahr 2000 parat, der zu Beginn seiner Amtszeit ebenfalls einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung hatte feiern können. Sie klangen ganz ähnlich wie Merkels Sätze jetzt. Schröder hatte damals übrigens auch gesagt "Regieren macht Spaß." Westerwelle: "Wir wissen, wie das mit Schröder weitergegangen ist."

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