Abschied von einem großen Europäer

Strasbourg · Um kurz nach elf Uhr erklingt im Straßburger Europaparlament der Marsch aus Saul von Georg Friedrich Händel. Acht Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr tragen den Sarg mit den sterblichen Überresten von Helmut Kohl auf ihren Schultern ins voll besetzte Plenum.

 dpatopbilder - Saaldiener stellen am 01.07.2017 vor dem europäischen Trauerakt für den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl im EU-Parlament in Straßburg (Frankreich) ein Porträt auf. Kohl war am 16.06.2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Der Kanzler der Deutschen Einheit war 16 Jahre im Amt. Foto: Marijan Murat/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

dpatopbilder - Saaldiener stellen am 01.07.2017 vor dem europäischen Trauerakt für den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl im EU-Parlament in Straßburg (Frankreich) ein Porträt auf. Kohl war am 16.06.2017 im Alter von 87 Jahren gestorben. Der Kanzler der Deutschen Einheit war 16 Jahre im Amt. Foto: Marijan Murat/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: Marijan Murat (dpa)

Der Sarg ist von großen Ausmaßen und eingehüllt in die sternenbesetzte tiefblaue Europafahne. Die Soldaten haben wenig Platz, genau abgezirkelt müssen sie ihre Füße setzen, um ins Zentrum des Plenarsaals zu gelangen. Der Sarg wird dort abgesetzt, wo sonst das Rednerpult steht.

Die Witwe Maike Kohl-Richter sitzt neben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und EU-Ratspräsident Donald Tusk. In den Reihen dahinter Weggefährten wie der ehemalige spanische Ministerpräsident Felipe Gonzalez, Parteifreunde wie sein langjähriger Innenminister Rudolf Seiters (CDU), einstige Mitstreiter, mit denen er gebrochen hatte, wie Wolfgang Schäuble (CDU), sowie heutige Funktionsträger wie etwa der österreichische Präsident Alexander van der Bellen. Auch das deutsche Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist gekommen.

Hier in Straßburg, der zwischen den Deutschen und den Franzosen lange umkämpften Stadt, die nach 1945 dann zum Symbol geworden ist für die europäische Einigung, hatte Helmut Kohl 13 Tage nach dem Fall der Berliner Mauer einen historischen Auftritt, der bei diesem Trauerakt immer wieder in Erinnerung gerufen wird. Gemeinsam mit dem französischen Staatpräsidenten Francois Mitterrand sprach er am 22. November 1989 zu den Abgeordneten des Europaparlaments. Es war der erste gemeinsame Auftritt eines französischen Staatschefs mit einem deutschen Regierungschef überhaupt. Kohl beschwor damals, dass in Europa nun eine Zeit der Hoffnung und der Solidarität anbreche. Ziel sei die politische Einigung des Kontinents: "Mit einem Wort: Die Entwicklung der Europäischen Einigung muss weiter gehen." Und Kohl gab damals den Europäern ein Versprechen: "Die Deutschen, die jetzt im Geist der Freiheit wieder zusammen finden, werden niemals eine Bedrohung sein, dafür aber umso mehr ein Gewinn für die Einheit Europas."

Der Luxemburger Jean-Claude Juncker ist derjenige von den acht Rednern, der am emotionalsten wird. Er spreche jetzt nicht als EU-Kommissionspräsident. "Ich nehme Abschied von einem treuen Freund, der mich über Jahre liebevoll begleitet hat." Mit Kohl, so Juncker weiter, "verlässt uns ein Nachkriegsgigant". Straßburg sei der richtige Ort für den Abschied. Die deutsch-französische Grenzstadt sei Kohl ans Herz gewachsen. Die Trauerfeier sei "nicht undeutsch, sie ist europäisch". Juncker erinnert daran, wie wichtig Kohl die Erweiterung der EU nach Osten war: Als 1997 die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit Polen, Tschechien und den anderen ehemaligen Ostblockländern beschlossene Sache war, habe Kohl aus Rührung mit "tränenerstickter Stimme" das Ereignis "einen der schönsten Tage seines Lebens genannt." Und es ist Juncker, der seinen ihm eigenen Schalk auch in dieser Stunde der Trauer durchblitzen lässt, als er den Verstorbenen noch einmal direkt anspricht: "Du bist jetzt im Himmel, versprich mir, dass du dort nicht einen CDU-Ortsverein gründest, lieber Helmut, ruhe in Frieden."

EU-Ratspräsident Tusk wählt seine Muttersprache Polnisch, um zu würdigen, was Kohl für das deutsch-polnische Verhältnis getan hat. Der Kanzler der Einheit sei nicht zufällig gleichzeitig Ehrenbürger Europas und Ehrenbürger von Danzig. Kohl habe immer wieder darauf hingewiesen, dass "die Werftarbeiter in Danzig diejenigen waren, die dem Warschauer Pakt die ersten Risse zugefügt haben."

Dann erklingt noch einmal die Stimme von Helmut Kohl im Plenarsaal. In seinem einprägsamen pfälzischen Tonfall tönt es aus den Lautsprechern: "Der Freiheitswille der Deutschen hat friedlich die Trennung des Vaterlandes überwunden." Der zwei Minuten lange Film "Helmut Kohl - ein großer Europäer" zeigte Schlüsselszenen aus seiner politischen Karriere wie etwa die berühmte Geste der Völkerfreundschaft und Versöhnung, als er mit Mitterrand über den Gräbern der Gefallenen von Verdun die Hände hielt.

Obwohl Kohl stets versichert hat, die wiedervereinigten Deutschen wollten ein "europäisches Deutschland und kein deutsches Europa", schlug ihm doch auf Ebene der Staats- und Regierungschefs Widerstand entgegen. Nicht nur Margaret Thatcher, auch Mitterrand und der Niederländer Ruud Lubbers hatten Vorbehalte. Anders Spaniens Regierungschef Gonzalez. Daher passt es, dass Gonzalez redet. "Freundschaft bedeutete für ihn Vertrauen, das ist in der Politik selten."

Auch der frühere US-Präsident Bill Clinton wird sehr persönlich. Er und all die anderen ergrauten ehemaligen Staatschefs seien Kohl dankbar, weil sie mit ihm Zeuge einer historischen Zäsur, des Zusammenbruchs des Warschauer Paktes, wurden: "Kohl gab uns die Chance, bei etwas dabei zu sein, das wichtiger war als unsere Ämter." Er habe ihn "geliebt", so Clinton augenzwinkernd, "weil er die einzige Person war, die einen größeren Appetit hatte als ich." Kohl habe auch versucht, ihn zum Essen von Dingen zu bewegen, die er nicht gern esse. Und weiter: "Der Appetit von diesem Kerl ging weit über Nahrung hinaus." Und zwar: Freiheit, Völkerverständigung und die ökonomisch mutige Tat, Europa eine gemeinsame Währung zu geben.

Der französische Präsident Emmanuel Macron (39) ist mit Abstand der Jüngste unter den Trauerrednern. Vielleicht ist dies der Grund, warum er es ist, der den Blick in die Zukunft richtet. Er und Merkel hätten die Aufgabe, in der Europapolitik das Vermächtnis von Kohl umzusetzen. "Wir müssen dafür sorgen, dass das Aufbauwerk nicht seinen Geist verliert." Er wolle zusammen mit der deutschen Kanzlerin europäischen Sinn stiften und "kurzfristiges Denken und Egoismen" bekämpfen.

Angela Merkel spricht als letzte. Sie stellt seine europapolitischen Leistungen und seine Verdienste um die Wiedervereinigung in den Vordergrund: "Er hat das Deutschland und die EU mit geschaffen, in denen wir heute leben." Sie nennt das Überwinden der Trennung zwischen Ost und West, das Ende der Grenzkontrollen sowie die gemeinsame Währung. All das bleibe mit seinem Namen verbunden. Sie deutet an, dass ihr Verhältnis zu ihm nicht ohne Spannungen war. Viele Leute hätten sich auch an ihm gerieben, "auch ich". Dies trete aber an diesem Tag zurück. Als einzige Rednerin erinnert sie an Kohls erste Frau Hannelore und dankt dann seiner zweiten Frau, die "ihn liebevoll begleitet hat. Ihnen gehört mein Mitgefühl." Auch Merkel verabschiedet sich, indem sie ihren einstigen Förderer noch einmal direkt anspricht: "Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, ohne Sie stünde ich nicht hier." Sie bedankt sich für die Chancen, die er auch ihr gegeben habe. "Jetzt ist es an uns, Ihr Vermächtnis zu wahren." Dann erklingt erst die deutsche Nationalhymne, dann die europäische Hymne "Ode an die Freude". Zu Takten aus der siebten Symphonie von Ludwig van Beethoven wird der Sarg dann aus dem Europaparlament feierlich heraus getragen. Der Sarg mit dem Körper von Helmut Kohl tritt symbolisch die letzte Reise an auf die andere Seite des Rheins und in seine geliebte Pfalz.

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