Agenda 2010: Druck im Kessel

BERLIN. Schröder gibt dem Druck nach: Die Genossen dürfen bei seinen Reformplänen "mitreden". Es soll nun doch einen SPD-Sonderparteitag geben.

Die offene Rebellion der SPD-Linken gegen die Reformpläne desBundeskanzlers ("Agenda 2010") hat Wirkung gezeigt. Nachwochenlangen Diskussionen um den künftigen Sozialkurs der SPD unddem wachsenden Widerstand in der Partei hat Gerhard Schröder demDrängen nach einem Sonderparteitag nun doch nachgegeben. Nacheinem Telefonat am Sonntag Mittag mit SPD-Generalsekretär OlafScholz entschied der Kanzler und Parteivorsitzende, (vermutlichfür den 1. Juni in Berlin) einen Sonderparteitag einzuberufen.Der Schritt war absehbar, nachdem die Linken in derSPD-Bundestagsfraktion am vergangenen Freitag überraschend ein sogenanntes Mitgliederbegehren angekündigt hatten. Dies sorgte inder Parteispitze für großen Ärger und Empörung. Zu allemÜberfluss kippte der schleswig-holsteinische SPD-Landesverband amWochenende auch noch seinen Vorsitzenden Franz Thönnes undverlangte wie zuvor schon die SPD-Landesverbände Hamburg undHessen einen Sonderparteitag. Ob die "Abweichler" aus derFraktion nun an ihrem Plan festhalten, die Parteibasis über denkünftigen Kurs der SPD abstimmen zu lassen, war am Sonntagunklar. Es wäre das erste Mitgliederbegehren in der 140-jährigenGeschichte der SPD. Mit diesem Coup der Linken (unter anderemOttmar Schreiner, Ingrid Skarpelis-Sperk, Rüdiger Veit) hattenKanzler Schröder, Fraktionschef Franz Müntefering undGeneralsekretär Olaf Scholz jedenfalls nicht gerechnet. Mehr nochals die Initiative wurmte die Spitzengenossen das Verfahren derReformkritiker: "Hinter unserem Rücken", so ein Mitglied derParteiführung, sei in unfairer Weise eine Aktion gegen die eigeneBundesregierung gestartet worden. Dabei sei doch x-mal in der Fraktion und anderen Gremien über diese "notwendigen Reformen" debattiert worden, ohne dass die Kritiker auch nur die Andeutung eines Mitgliederbegehrens gemacht hätten.

Schlechter Stil

Das sei schlechter Stil, befand Fraktionsführer Müntefering, der den Abweichlern am Wochenende einen geharnischten Brief schrieb, in dem er zum "Gespräch" bat. Am heutigen Montag will das Präsidium über das weitere Vorgehen beraten - allerdings wegen der Karwoche nur per Schaltkonferenz. Erschrocken hatte die SPD-Führung in den vergangenen Tagen registrieren müssen, dass der Widerstand gegen die Agenda 2010 nicht kleiner, sondern täglich größer wurde.

Das Vorhaben, den Unmut der Genossen in vier "Regionalkonferenzen" zu kanalisieren, reichte offenbar nicht aus. Zu stark wurde der Druck der Basis, die ganz einfach "mitreden" wollte, wie es die 21 Ortsvorsitzenden der SPD Saarbrücken in einer Erklärung verlangt hatten. Schließlich sei man im Bundestagswahlkampf nicht auf die Straße gegangen, "um wenige Monate später den Kündigungsschutz zu verwässern und die Sozialleistungen zu kürzen". Als am Wochenende der SPD-Landesverband in Schleswig-Holstein auch noch seinen Vorsitzenden Franz Thönnes (Staatssekretär im Bundes-Gesundheitsministerium) kippte, der einen Sonderparteitag abgelehnt hatte, zudem die Saar-SPD einen eigenen Landesparteitag zu den "unausgewogenen" Reformen (Parteichef Heiko Maas) ankündigte, sahen Schröder und Scholz Handlungsbedarf.

Wie es aus Kreisen der Parteispitze hieß, werden die Regionalkonferenzen, bei denen die Regierungs-Maßnahmen "erläutert" werden sollen, aber trotz des Sonderparteitags durchgeführt. Offenbar hofft die Parteiführung, dabei soviel "Druck aus dem Kessel" nehmen zu können, dass der Parteitag nicht außer Kontrolle gerät.

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