Alarmstufe Rot am weißen Teppich

MAINZ. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt stand gestern im Fokus der internationalen Berichterstattung. Doch von dem Staatsbesuch des US-Präsidenten George W. Bush bekamen die Mainzer Bürger allenfalls am Fernsehen etwas mit. Die Innenstadt war hermetisch abgeriegelt.

Der rote Teppich für den mächtigsten Mann der Welt, er will an diesem Mittwochmorgen einfach nicht rot bleiben. Ohne Unterlass schrubbt der kleine Mann mit seinem Besen über die Bahnen des derben Stoffes im Innenhof des Mainzer Schlosses - doch kaum hinterlässt er ein Stück roten Stoff, schweben schon wieder tausende von Schneeflocken aus dem Himmel auf die Auslegware und färben sie weiß: Sisyphusarbeit am laufenden Meter für den 43. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George Walker Bush. Der wird erst in knapp einer Stunde mit Bundeskanzler Gerhard Schröder den roten Teppich zwischen Blumenbeet und Schloss-Hintereingang betreten, um amerikanische und deutsche Soldaten zu treffen, die in Afghanistan im Einsatz waren.Nur noch Polizisten an der Straße

Bis dahin schließt sich das Viertel um das Mainzer Schloss, den rheinland-pfälzischen Landtag und die Theodor-Heuss-Brücke über dem Rhein mehr und mehr zu einem Käfig der Hochsicherheit. Helikopter-Rotoren knattern mal nah, mal fern, scheinen Bäume zu zausen und hallen in den Häuserschluchten nach. In deren Straßen stehen nur noch Polizisten, hunderte, tausende. Sie passen auch auf die Anwohner auf, die allenfalls noch verstört hinter den Vorhängen der Fenster ihrer Wohnungen hervorlugen. Die meisten sind zuhause, schauen sich den Präsidenten und den Zinnober um und in ihrer 200 000-Einwohner-Stadt im Fernsehen an. Denn arbeiten können heute die wenigsten. Etliche Geschäfte sind "wegen des Bush-Besuchs" geschlossen, und viele Mainzer denken wie Maria-Luise Fuchs und ihr Sohn Bernd, die einen Steinmetzbetrieb in der Bölkestraße führen - auf der Bush-Route, zwischen Wiesbaden und Mainz. "Warum hat der Schröder den Bush nicht an einem Sonntag auf einer nordfriesischen Insel im Wattenmeer empfangen? Eine Hallig hätte man doch optimal überwachen können", seufzt Steinmetz Bernd Fuchs, der sich dank George "double u" in den vergangenen Tagen zum Medien-Profi gemausert hat. Denn sie kamen alle: die Männer und Frauen mit Mikrofon und Kamera von Sat1, vom ZDF, von RTL, Pro Sieben und dem Südwestfunk, um seine 100 Grabsteine im Freien zu filmen. "Die von der Polizei haben gemeint, meine Grabsteine seien als potenzielle Wurfgeschosse eine Gefahr für den Präsidenten, und darum müsse ich sie entfernen. Doch ein Grabstein wiegt mindestens 100 Kilo. Ich brauche vier Mann, um nur einen wegzutragen. Das ist doch alles total übertrieben", klagt Fuchs gegenüber unserer Zeitung. Nach den Polizisten und den Journalisten seien dann Sprengstoffexperten gekommen. Und amerikanische Sicherheitsleute hätten angerufen - "aber ich kann kein Englisch", bedauert Fuchs. Er habe sich dann mit der deutschen Polizei darauf geeinigt, die Grabsteine stehen zu lassen und sein Gelände für die Sekunden, in denen Bushs Limousine gestern vorbeirollte, besonders gut bewachen zu lassen. Gut bewacht sind gestern Morgen um kurz nach zehn dann auch die Journalisten. Sie stehen - mit Sicherheitsabstand, versteht sich - um den Mann herum - sorry - mittlerweile sind es ja fünf Männer, die den roten Teppich für Bush mit Besen vom Schnee befreien, um ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. Zwischen den Kehrern und den Journalisten: wichtige Männer mit Scheitel, Mantel und Knopf im Ohr, die wie Feldherren über die Reihen blicken und bei hektischen Bewegungen bissig mustern. Dann strömen immer mehr Knopf-im-Ohr-Männer in den Innenhof des Mainzer Schlosses, und der Stabsmusikcorps des Wachbataillons der 5. Kompanie aus Berlin spielt auf - gefolgt von 84 Marine- und Luftwaffensoldaten, die salutieren. Sie bleiben regungslos stehen, während die Besen weiter den Schnee von den roten Teppichbahnen ratschen. In der gespannten Stille ist jetzt nur noch das taktvolle Kehrgeräusch zu hören und hin- und wieder ein Hubschrauber. Busse mit getönten Scheiben fahren vor das gusseiserne Tor am Hinterhof des Schlosses. Doch es sind nur noch mehr Journalisten - diesmal amerikanische. Das Kehren hat jetzt aufgehört, und die Tür zum Hof des Schlosses ist einen spaltbreit geöffnet: Verteidigungsminister Struck. Außenminister Fischer. Dann, die Kameras klicken, George W. Bush mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sekunden später die Nationalhymnen. Erst die amerikanische, dann die deutsche. Und ein amerikanischer Präsident, der seinen Soldaten in Deutschland mit einem Schulterklopfen zuraunt: "I'm proud of you!" So fühlen sie sich an: 15 Minuten in der Nähe des mächtigsten Mannes der Welt und drei Stunden in im Gefängnis der Hochsicherheit.

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