"Alle müssen die Regeln einhalten"

Brüssel · Amazon, Apple, Gazprom, Google, Starbucks: Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich in ihren ersten sechs Amtsmonaten bereits mit dem Who is Who der internationalen Konzernwelt angelegt. Und das fühle sich gut an, sagt sie im TV-Interview.

Brüssel. Sie hat das einflussreichste Amt in der EU-Kommission. Im Gespräch mit unserem Korrespondenten Christopher Ziedler erzählt die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, warum es wichtig ist, dass sie dem großen Druck auf ihr Amt widersteht.Frau Vestager, gelten in Europa noch die Regeln und Pflichten der Marktwirtschaft?Margrethe Vestager: Ja, natürlich. Warum fragen Sie?Weil angesichts der vielen Kartell- und Beihilfeverfahren, die Sie zuletzt eröffnet haben, der Eindruck entsteht, dass die Großen ohnehin tun, was sie wollen.Vestager: Das sehe ich nicht so. Die überwiegende Zahl der Unternehmen im europäischen Markt spielt nach den Regeln, nur eine kleine Anzahl hält sich nicht daran. Mein Job ist es sicherzustellen, dass die Mehrheit darauf vertrauen kann, dass jene verfolgt und bestraft werden, die Foul spielen.Das sind sehr oft Konzerne, weshalb viele Bürger glauben, unsere Länder würden nicht von Politikern regiert, sondern von Multis.Vestager: Mein erster Fall als Wettbewerbskommissarin betraf ein Kartell von Briefumschlagsherstellern. Es war fast traurig, sie bestrafen zu müssen, da der Markt für Umschläge vermutlich nicht besser wird. Jeder muss sich an unsere Marktregeln halten - ob Klein oder Groß.Die Frage ist, ob Sie diese Regeln auch gegenüber großen Namen durchsetzen. Nehmen wir Google: Garantieren Sie eine Strafe, wenn Sie am Ende einen Missbrauch der Marktposition feststellen?Vestager: Garantien gebe ich keine ab. Aber eines kann ich versichern: Wir werden alles versuchen, um den Fall erfolgreich abzuschließen.Gelegentlich wird argumentiert, eine hohe Strafe für Google sei die letzte Chance für europäische Unternehmen, überhaupt erst digital wachsen zu können.Vestager: Der Fall hat zweifellos hohe Bedeutung, aber man sollte nicht zu viel hineininterpretieren. Dass aus den tollen Start-Up-Ideen in Europa noch kein zweites Google geworden ist, hat auch andere Gründe. Es ist weniger Risikokapital vorhanden als in den USA, das in solche Projekte investiert.Es hakt auch bei der Lieferung. Sie untersuchen ebenfalls die Geschäftspraktiken von Paketzustellern.Vestager: Etwas ist merkwürdig: Die Europäer lieben es, online einzukaufen, jeder zweite tut es. Aber nur 15 Prozent kaufen im EU-Ausland ein, und nur sieben Prozent unserer Firmen verkaufen grenzüberschreitend, obwohl man dafür kaum mehr als eine englischsprachige Website braucht. Gerade als kleines Unternehmen in einem kleinen Land kann einem doch eigentlich nichts Besseres passieren, als 500 Millionen potenzielle Kunden zu haben. Warum passiert es nicht?Sagen Sie es uns.Vestager: Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass die Erfolgsquote beim Onlinekauf im Heimatland bei über 90 Prozent liegt, im EU-Ausland unter 50 Prozent - hier liegt etwas im Argen. Das kann an der Sprachbarriere liegen, wir aber suchen nach Verträgen, die Lieferungen in bestimmte Länder nicht erlauben. Das wäre unvereinbar mit unseren Marktregeln.Auch im Energiesektor geht es darum, nationale Grenzen aufzuweichen. Sie haben die "Kapazitätsmärkte" im Visier. Werden Reservekraftwerke zu hoch subventioniert, statt Energie in der EU zuzukaufen?Vestager: Es ist völlig legitim vorzusorgen, dass es in Stoßzeiten nicht zum Blackout kommt. Wir sollten aber schauen, ob wir das in Europa nicht gemeinsam und günstiger für den Steuerzahler hinbekommen - am Anfang könnten regionale, am Ende europäische Kapazitätsreserven stehen. Unsere Untersuchung in elf Staaten, darunter Deutschland, soll klären, ob die jetzigen Subventionen in diesem Umfang nötig sind. Die Förderung sollte, wenn überhaupt, keine Technologie bevorzugen und grenzüberschreitend möglich sein.Es wird viel diskutiert, seit die EU-Kommission in der LuxLeaks- Affäre ermittelt und generöse Steuervorbescheide für Großkonzerne unter die Lupe nimmt. Immerhin trägt ihr Chef Jean-Claude Juncker als Expremierminister von Luxemburg politische Mitverantwortung.Vestager: Viele Bürger stellen sich die Frage, warum sie als Steuerzahler für die Krise zahlen oder soziale Kürzungen hinnehmen mussten, während große Unternehmen offensichtlich kaum Steuern gezahlt haben.Werden sie die fünf beispielhaften Untersuchungen unter anderem gegen Apple, Amazon und Starbucks wie versprochen vor dem Sommer abschließen?Vestager: Das werden wir nicht schaffen. Ich möchte nicht riskieren, dass es nachher heißt, das Zieldatum sei wichtiger gewesen als die eigentliche Arbeit am Fall. Sonst bekomme ich Probleme, wenn einer der Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof landet.Wie fühlt es sich an, gegen diese großen Konzerne anzutreten?Vestager: Gut. Das ist doch das, wozu die EU-Kommission da ist. Das komplette Interview: <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de" class="more" text="www.volksfreund.de"%>Extra

2014 wurde die dänische Finanzministerin Margrethe Vestager (47) als Mitglied der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker nominiert. Dieser wies ihr das einflussreichste Amt zu: Die Kommission entscheidet im Wettbewerbsrecht allein, also ohne Mitgliedstaaten oder Parlament.

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