Alles Aktionismus? - Der Terror und der Ruf nach härteren Gesetzen in Deutschland

Berlin/Trier · Hilft die Vorratsdatenspeicherung, Terror zu verhindern? In Paris war das nicht der Fall. Trotzdem fordern nach dem Anschlag in Frankreich die ersten eine Rückkehr zu der umstrittenen Datensammlung. Der rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers spricht sich dagegen aus.

Berlin/Trier. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Diskussion beginnt. Schon kurz nach dem blutigen Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris ist die Debatte über politische Konsequenzen in vollem Gange. Was tun gegen den Terror?, lautet die Frage - und nicht wenige antworten mit dem Ruf nach schärferen Gesetzen.
Deutschland hat nun einen neuen, schrillen Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Aber auch anderswo in Europa wird laut über weitere Instrumente im Anti-Terror-Kampf nachgedacht. Fragt sich nur: Was bringen mehr Befugnisse für die Polizei?
Die Vorratsdatenspeicherung - das ist die flächendeckende Erfassung, wann wer mit wem wie lange telefoniert oder SMS und E-Mails schreibt. Jahrelang gab es in Deutschland Streit über dieses Mittel, das die EU-Staaten 2006 einführten, um Terroristen oder Schwerverbrecher aufzuspüren (siehe Extra).
Die CSU nimmt den Terroranschlag in Frankreich als Anlass, eine Neuauflage der Datenspeicherung auf Vorrat zu fordern. Auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) meint, nun sei das Mittel erst recht nötig. "Der Anschlag von Paris unterstreicht hier die Dringlichkeit." SPD, Linke und Grüne im Bund sehen das anders. Der Vorstoß sei Aktionismus und nutze die schwierige Lage aus, klagen sie. "Nach dem traurigen Anschlag in Paris hat es die CSU keine 24 Stunden geschafft, ihren Reflex zu unterdrücken, den Angriff zur innenpolitischen Profilierung zu nutzen", sagt der Linke-Politiker Jan Korte. Die Piraten nennen die CSU-Initiative geschmacklos.
Auch de Maizières Kabinettskollege Heiko Maas (SPD) lässt ausrichten, dass er keinen Anlass für eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sieht. "Wir brauchen jetzt keinen Wettlauf um neue Gesetze", sagt er.
Auch der aus Trier stammende rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers (SPD) lehnt "ein reflexartiges Rufen nach Strafverschärfungen oder der Einführung der Vorratsdatenspeicherung ab". Robbers sagte unserer Zeitung, auf das Geschehen in Frankreich "müssen und werden wir mit effektiven und rechtsstaatlichen Mitteln antworten. Dabei dürfen wir nicht in die Falle laufen, als Reaktion auf diesen Angriff die Freiheit und die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger zu schmälern und damit den Terroristen in dieser Hinsicht einen Erfolg zu verschaffen." Eine mögliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung müsse wenn, dann in der gesamten Europäischen Union gelten, so Robbers.
Längst sind auch in Deutschland neue Instrumente gegen radikale Islamisten in Arbeit: Künftig soll sich bereits strafbar machen, wer das Land verlässt, um sich anderswo am Terror zu beteiligen oder dafür ausbilden zu lassen.
Die Regierung will auch die Terrorfinanzierung unter Strafe stellen und gewaltbereite Islamisten durch den Entzug ihres Personalausweises daran hindern, in Kampfgebiete wie Syrien und Irak auszureisen. Nun bekommt die Debatte über den Kampf gegen den Terror neue Wucht. Auch in Frankreich kommen von ersten Politikern bereits Forderungen nach einer Lagerhaft für Dschihadisten und der Wiedereinführung der Todesstrafe. Und von der EU-Ebene kommen neue Rufe, den umstrittenen Austausch von Fluggastdaten in Europa voranzutreiben. Den blockiert bislang das EU-Parlament. Am Sonntag setzen sich die EU-Innenminister in Paris zusammen, um über neue Anti-Terror-Strategien zu beraten.
Aber was bringen schärfere Gesetze? In Frankreich gibt es die Vorratsdatenspeicherung. Den Anschlag in Paris verhinderte sie nicht. Die beiden Tatverdächtigen, die das Blutbad angerichtet haben sollen, tauchten auch keineswegs aus dem Nichts auf. Der Jüngere soll sich im Umfeld eines radikalen Predigers getummelt und vor Jahren versucht haben, sich den Kämpfen im Irak anzuschließen. Der Ältere ließ sich nach Medienberichten in einem Terrorcamp im Jemen ausbilden. Angeblich soll auch einer von beiden in Syrien gewesen sein. Die französischen Behörden überwachten die Männer. Trotzdem konnten die beiden das Satire magazin stürmen und zwölf Menschen töten.
Auch die deutschen Sicherheitsbehörden wissen um die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Um nur einen Extremisten rund um die Uhr zu überwachen, sind Dutzende Beamte nötig. Die Polizei stuft derzeit rund 260 Islamisten in Deutschland als so gefährlich ein, dass sie ihnen terroristische Aktionen zutraut.
Innenminister Thomas de Maizière räumt ein, selbst noch so gute Polizeiarbeit könne so einen Anschlag wie in Frankreich nicht verhindern. Besonders groß ist dazu die Gefahr durch fanatische Einzeltäter.Meinung

Die Gretchenfrage
Im Schatten der Terrorakte von Paris braut sich in der großen Koalition etwas zusammen. Der Riss bei der inneren Sicherheit, der Union und SPD und damit auch Innen- und Justizminister trennt, wird offenkundig. Ein neuer Koalitionskrach ist im Anmarsch. Die Positionen sind konträr, und es geht nicht nur darum, wie Deutschland besser vor Terroranschlägen geschützt werden kann. Sondern es geht auch um die immer wiederkehrende Gretchenfrage: Wie viel Sicherheit verträgt die Freiheit? Diese fundamentale Debatte wird nach Paris hierzulande gesellschaftlich und politisch neu geführt werden müssen. Denn Deutschland steht ähnlich wie Frankreich im Fadenkreuz des islamistischen Terrors, dessen Brutalität Europa nun wieder mit voller Wucht erreicht hat. Allen voran die Christsozialen plädieren reflexartig für mehr Sicherheit, für mehr Kontrolle und mehr Befugnisse der Behörden. Die Bajuwaren spurten voran, und die CDU trottet langsam, aber mit Sicherheit hinterher. Die SPD mit Justizminister Heiko Maas bremst indes. Sie tut gut daran. Wer jetzt zum Wettlauf um neue Gesetze bläst, der verkennt die Realität. Das deutsche Recht bietet genügend Handhabungen, um mit der terroristischen Bedrohung fertig zu werden. Aber das geltende Recht muss konsequent angewendet werden. Das geht jedoch nur, wenn die Sicherheitsbehörden dazu in der Lage sind. Materiell und personell. nachrichten.red@volksfreund.deExtra

Der Begriff Vorratsdatenspeicherung steht für die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten der Bürger. Nach den Terroranschlägen von Madrid und London beschlossen die EU-Staaten 2006 ein Gesetz, das dies regelt. Die Datensammlung soll Fahndern bei der Jagd nach Terroristen und anderen Schwerverbrechern helfen. Die EU-Richtlinie schrieb allen Staaten vor, dass Anbieter von Telekommunikationsdiensten EU-weit Verbindungsdaten zu Telefonaten oder E-Mails zwischen sechs und 24 Monate lang auf Vorrat speichern mussten. Im April 2014 kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Richtlinie jedoch vollständig und argumentierte, die Regelung verstoße gegen Grundrechte. Ob es neue Vorgaben auf EU-Ebene geben wird, ist offen. Die EU-Staaten können eigene Gesetze erlassen. In Deutschland gibt es dazu schon seit Jahren keine gesetzlichen Vorkehrungen mehr. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutschen Vorgaben 2010 verworfen. Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf eine Neufassung einigen. Die große Koalition wollte ursprünglich eine Rückkehr zur Datenspeicherung auf Vorrat. Seit dem EuGH-Urteil liegen die Pläne aber auf Eis. dpa

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