Alles in allem: Rosige Aussichten

TRIER. Wie sieht die Zukunft aus? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich die Menschen mit dieser Frage - vor allem, wenn ein Jahreswechsel ansteht. Wir sprachen mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx über die Aussichten der Deutschen und den Arbeitsmarkt in zehn Jahren.

Herr Horx, wie sind die Zukunftsaussichten, eher düster oder eher optimistisch? Horx: Unser größtes Zukunftsproblem ist derzeit der ans Depressive grenzende Zukunftspessimismus, der das Land wie Mehltau befallen hat. Ich glaube aber, dass wir uns wieder aufrappeln und uns wieder auf unsere alten Tugenden besinnen. Was meinen Sie mit den alten Tugenden? Horx: Das sieht man derzeit gut im Fernsehen oder im Kino. Da werden die alten Erfolgsmythen der Deutschen wieder ausgegraben, zum Beispiel: "Das Wunder von Lengede", "Das Wunder von Bern", Adenauer als größter Deutscher. Das ist eine Rückbesinnung auf Zeiten, in denen wir nicht nur jammern, sondern auch etwas Neues aufbauen konnten. Aber warum jammern denn die Deutschen so gerne? Horx: Jammern zahlt sich hierzulande eben aus. Mit Jammern bekommt man höhere Einschaltquoten, sie werden zu Sabine Christiansen eingeladen, man kommt in die Zeitung, wenn man verspricht, dass die Welt bald untergeht. Wir sind eine alarmistische und sehr panisch-hysterische Kultur, in der nur negative Zuspitzungen Aufmerksamkeit erregen. Aber vielen Deutschen geht es ja wirklich nicht so gut, dürfen die angesichts zunehmender Belastungen nicht jammern und pessimistisch in die Zukunft blicken? Horx: Es geht nicht um "dürfen". Die Frage ist nur, ob wir uns von Angst und Jammerei leiten lassen sollen. Die Welt ändert sich. Arbeit ist heute nicht mehr nur lebenslange Wiederholung des Gleichen, sie wird kreativer, auch stressiger. Menschen werden älter. Wir werden daher eine andere Job- und Arbeitsstruktur in der künftigen Wissensgesellschaft haben, auch andere soziale Kontrakte und Sozialsysteme. Dieser Wandel ist machbar, wie andere Länder uns vormachen. Ist Jammern nicht vielleicht auch eine deutsche Tugend? Horx: Es hat ja auch jahrelang funktioniert: Wer geklagt hat, bekam Subventionen. So einfach war das. Was ist die größte Herausforderung, vor der die Deutschen derzeit stehen? Horx: Die Bewusstseinsfrage. Angeblich glauben nur 15 Prozent aller Deutschen, dass die Zukunft besser werden kann als die Vergangenheit. Zum Vergleich: Die Chinesen glauben zu 90 Prozent, dass die Zukunft besser wird. Wenn wir unsere Zahl nicht erhöhen können, werden wir auf dem Wege einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung tatsächlich in eine gewaltige Krise rutschen. Wir diskutieren immer nur über das Negative, zum Beispiel über die Notwendigkeit, den Gürtel enger zu schnallen. Es wird aber nicht über Chancen der Wissensgesellschaft als nächste Stufe der Zivilisation gesprochen. Kann Deutschland diese Herausforderung tatsächlich meistern? Horx: Solange Journalisten nur immer wieder diese Frage stellen, muss ich mit Nein antworten. Das ist eben Teil des Problems. Die Frage "Kann Deutschland " ist vollkommen blödsinnig. Wer ist Deutschland? Herr Meier? Sie? Ich? Der Bundeskanzler? Auf diese Weise schiebt man die Verantwortung immer wieder ins Nirgendwo. Und was wäre denn die Alternative zu einem Wandel-Prozess? Wir sollten uns nicht angesichts jeder Schwierigkeit auf den Rücken fallen lassen und mit den Beinen strampeln, sondern anstrengen, um weiter zu kommen. Und genau das konnten wir schon einmal. Wie sieht der Arbeitsmarkt der Zukunft aus? Horx: Wir werden in zehn, zwanzig Jahren das umgekehrte Problem von heute haben. Es werden viel zu wenig talentierte und gebildete Menschen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sein. Die Firmen werden Hände ringend um jedes Talent konkurrieren, weil wir bei weiter sinkenden Geburtenraten und den immer noch ungenügend höheren Bildungsabschlüssen einen echten Arbeitskräftemangel haben werden. Das heißt, es wird keine Arbeitslosigkeit mehr geben? Horx: Das Problem Arbeitslosigkeit wird gewaltig überschätzt. In Westdeutschland haben wir eine Arbeitslosenquote von durchschnittlich 7,8 Prozent. Das ist zu viel, keine Frage. Aber es ist auch nicht so furchtbar weit entfernt von den fünf Prozent unserer Nachbarländer. Und das kann man fast schon als Vollbeschäftigung bezeichnen. In zehn Jahren sind wir bei 5,5 Prozent. Übergänge in andere Gesellschaftsformen wie jetzt zur Wissensgesellschaft sind eben immer mit dem Wegfall traditioneller Arbeitsplätze verbunden. Dafür kommen auch jede Menge neuer Jobs hinzu. Wie verdienen wir in zwanzig Jahren unser Geld? Horx: Die Hälfte der Erwerbstätigen wird im weitesten Sinne selbstständig sein. Sie werden keine festen Arbeitsverträge mehr haben sondern Zeitarbeitsverträge, Teilzeitjobs, oft auch mehrere Jobs. Man wird nicht mehr die Karriereleiter in einem bestimmten Unternehmen durchlaufen, sondern höchstens fünf, sechs Jahre bei einem Arbeitgeber bleiben und viel öfter den Beruf wechseln und sich weiterbilden. Es wird nur noch eine Restmenge von traditionellen Arbeitern und Angestellten geben, die aber im Vergleich zu den freien Arbeitnehmern deutlich weniger verdienen. Sie bezahlen langfristige Sicherheit mit Einkommensverlust. Also spi elt Bildung eine größere Rolle? Horx: Bildung ist eine Investition in höhere, komplexere Berufsarbeit. Sie muss anders verteilt sein als jetzt. Inzwischen sind Frauen gebildeter als Männer, trotzdem arbeiten immer weniger Frauen. Da wird ein gigantisches Humanpotenzial verschwendet, weil hoch gebildete Frauen in Deutschland in die Familienfalle getrieben werden und sie mit 30 qualifizierte Berufe verlassen. Es kann nicht mehr nur um Weihnachtskonsum, Stückzahlen oder Geiz gehen, es geht um die Entwicklung von Humankapital. Wie kann man, so wie Sie es tun, ohne Glaskugel zutreffend in die Zukunft blicken? Horx: Niemand kann jedes Detail der Zukunft voraussagen, denn die Zukunft entsteht letzten Endes durch menschliches Handeln. Man kann aber sehr wohl heutige Trends analysieren und auf die Zukunft extrapolieren. Damit kann man bestimmte Szenarien und Wahrscheinlichkeiten, so genannte "Zukunftspfade" entwickeln. Die Arbeit des Zukunftsforschers ist es nicht, die Zukunft vorherzusagen, sondern die Bürger darauf vorzubereiten, was im Wandel passiert. Daher müsste eigentlich jeder Politiker ein Stück weit ein Zukunftsforscher sein. Das Gespräch führte TV-Redakteur Bernd Wientjes.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort