"Als ob ein Geist hinter dem dem Steuer sitzt"

Trier · Den Zeugen des Horrorunfalls hat sich im Oktober 2012 auf der A 1 bei Rivenich (Bernkastel-Wittlich) ein Bild des Grauens geboten. Ein Vater und zwei seiner Kinder starben bei dem Geisterfahrerunfall. Die Verursacherin, eine 62-jährige Daunerin, steht seit gestern vor dem Trierer Landgericht.

Trier. Es sind Bilder, die werden ihm wohl nie mehr aus dem Kopf gehen. Als einer der ersten Helfer ist der heute 31-Jährige am 15. Oktober 2012 an der Stelle, an der auf der A 1 kurz zuvor eine 60-jährige Daunerin in den Wagen eines 31-jährigen Familienvaters aus Bad Ems gefahren ist - als Geisterfahrerin. Der Golf des Mannes habe ihn ein paar Sekunden zuvor überholt, als er "gemütlich" mit seinem Renault Twingo hinter LKW gefahren sei, erinnert sich der 31-Jährige vor Gericht. Dann habe plötzlich der Verkehr vor ihm gestoppt. Den Zusammenprall selbst habe er nicht gesehen. Als er dann zu den beiden total demolierten Autos gelaufen sei, habe sich ihm ein Bild des Grauens geboten. Die Unfallverursacherin habe eingeklemmt in ihrem Golf gesessen, nicht ansprechbar, schwerst verletzt. Der Wagen des Vaters habe ein paar Meter dahinter in einer Böschung gehangen. In einem Gebüsch habe er ein Weinen gehört, sagt der Zeuge. Ein schwer verletztes Mädchen, das aus dem Golf seines Vaters herausgeschleudert worden ist. Ein anderes Kind habe regungslos auf der Straße gelegen, eins im Graben neben dem Auto. Im Fußraum vor dem Beifahrersitz habe er einen leblosen Jungen gefunden. Der Mann habe völlig eingeklemmt in dem Wagen gesessen und halb herausgehangen. Der Vater und zwei seiner Kinder, eine neunjährige Tochter und ein sieben Jahre alter Sohn, sterben bei dem Horrorunfall an dem Oktober-Montag kurz vor dem Rastplatz Rivenich (Bernkastel-Wittlich). Die beiden anderen, damals vier und zehn Jahre alt, überleben schwerstverletzt.
Bis heute habe er die schrecklichen Bilder vor Augen, sagt der Ersthelfer. Und wenn er auf Autobahnen unterwegs sei, fahre die Angst vor Geisterfahrern immer mit.
Die 62-Jährige, die den Horrorunfall verursacht hat, kommt auf einen Rollator, an dem eine Krücke steckt, gestützt in den Gerichtssaal. Sie kann nur kleine Schritte machen, kommt nur langsam voran. Begleitet von zwei Frauen, die ihr während des Prozesses seelischen Beistand leisten sollen.
Ihr Gesicht ist bleich. Sie zittert, als sie neben ihrem Verteidiger, Hans-Josef Ewertz mühsam Platz nimmt. In der rechten Hand, auf die sie ihren Kopf stützt, hat sie ein Papiertaschentuch zerknüllt. Auf der Anklagebank sitzt eine gebrochene Persönlichkeit, die ein Leben lang mit der Schuld am Tod von drei Menschen leben muss.
Sie spricht mit leiser, gebrochener Stimme, als Richter Armin Hardt sie nach ihren Personalien befragt. In Wuppertal geboren, ist sie in einer Pflegefamilie in der Eifel aufgewachsen. Nach der Ausbildung als Einzelhandelskauffrau wird sie Krankenpflegerhelferin, lernt dabei ihren Mann, einen Rettungsassistenten, kennen, mit dem sie zwei mittlerweile erwachsene Kinder hat. Acht Wochen bevor sie zur Geisterfahrerin wird, stirbt ihr Mann plötzlich.
Staatsanwältin Susanne de Renet wirft der 62-Jährigen vor, grob fahrlässig, verkehrswidrig und rücksichtslos von der Abfahrt des Rastplatzes Rivenich in falsche Richtung auf die Überholspur der Autobahn gefahren zu sein. Mit 80 Stundenkilometern fährt sie dann nach knapp einem Kilometer in das mit 110 fahrende Auto der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Familie. Sie sei ungeeignet zum Führen eines PKW, wirft ihr die Staatsanwältin vor.
Mit Tränen im Gesicht, zitternd, hört die Daunerin den Vorwürfen zu. "Es tut mir unendlich leid", lässt sie ihren Anwalt eine Entschuldigung verlesen. Die Lebensgefährtin des getöteten Mannes und Mutter der Kinder ist an dem ersten Prozesstag nicht im Gerichtssaal. Sie soll erst übernächste Woche gehört werden. Ein Entschuldigungsschreiben, das ihr die Daunerin zukommen gelassen hat, hat sie zurückgeschickt. Nicht nur ihr Leben habe sich seit dem 15. Oktober 2012 verändert, auch das der Familie, lässt die 62-Jährige über ihren Anwalt verkünden. Seitdem ist sie schwerstbehindert, lebt von Rente, ist auf Hilfe angewiesen. Wie es zu dem Unfall gekommen ist, daran habe sie keine Erinnerung mehr. Die Daunerin ist an dem Tag von einem Termin in einem Trierer Krankenhaus gekommen, wo sie seit Jahren wegen einer Muskelerkrankung behandelt wird. Vermutlich hat sie an dem Tag auch ein starkes Schlafmittel eingenommen.
Zeugen, die zu dem Zeitpunkt an der Unfallstelle unterwegs waren, berichten, dass die Frau scharf links von dem Rastplatz in falscher Richtung runter sei und direkt auf die Überholspur gefahren sei. Sie habe starr vor sich hingeschaut, weder auf Hupen noch auf Lichtzeichen von Autofahrern reagiert. "Die Frau kam mir abwesend vor, so als ob ein Geist hinterm Steuer sitzt", erinnert sich ein Zeuge, der der Daunerin gerade noch ausweichen konnte. "Sie starrte ins Leere", sagt eine Frau, die an der Daunerin vorbeigefahren ist, als sie gerade als Geisterfahrerin auf die Autobahn gefahren ist.
Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.

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