Altes Thema, neuer Zoff

BERLIN. Soll die Türkei dazu gehören? In der Bundesrepublik ist erneut eine heftige Debatte um den türkischen Beitritt zur Europäischen Union entbrannt.

Gewählt wird zwar voraussichtlich erst am 13. Juni 2004, doch schon jetzt hat die CSU laut Michael Glos das Wahlkampfthema für die Europawahl gefunden: Die Ablehnung eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union. Der wirtschaftliche Zustand "und die Tatsache, dass die Türkei einem völlig anderen Kulturraum angehört", seien die Gründe für diese Haltung. Das hatte der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag am Wochenende erklärt. Damit ist die alte und vor allem immer wiederkehrende Diskussion darüber, ob die Türken zu Europa gehören oder nicht, neu entfacht. Für die Bundesregierung kommt die leidige Debatte zur Unzeit. Denn seit Sonntagabend ist der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Berlin - und dabei wird es primär um dessen Wunsch nach Unterstützung für die EU-Kandidatur gehen. Glos‘ Aussage, schimpft daher der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen, sei eine "Provokation gegenüber dem türkischen Gast und der Bundesregierung". Die CSU wolle nur den "rechten Rand bedienen". Noch stärkere Geschütze fährt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), auf: Im bayerischen Landtagswahlkampf führe die Stoiber-Partei eine "fast rassistische Hetzkampagne gegen die Türkei". Woraufhin CSU-Generalsekretär Thomas Goppel der Grünen im Gegenzug vorwirft, ihre Äußerungen seien "fast intelligenzfrei". An der Türkei und ihrer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union entzündet sich hierzulande in schöner Regelmäßigkeit heftiger Streit. Vielleicht gerade deshalb, weil aufgrund von 2,5 Millionen türkischer Menschen in Deutschland eine besondere Beziehung zum Staat am Bosporus besteht. Die Türkei ist jedenfalls das einzige Bewerberland, mit dem die EU noch keine Beitrittsverhandlungen führt - im Dezember 2004 will der Europäische Rat jedoch bewerten, inwieweit das Land die notwendigen Voraussetzungen für Verhandlungen erfüllt. Dann soll unmittelbar über die Aufnahme von Gesprächen entschieden werden.CDU/CSU stehen allein auf weiter Flur

Anerkannt wird allenthalben in Europa, dass Erdogans Regierung in den vergangenen Monaten mehrere Reformpakete auf den Weg gebracht hat, um die EU-Chancen zu verbessern. So wurden innerhalb eines Jahres die Todesstrafe abgeschafft, Minderheitenrechte gestärkt und zuletzt der Einfluss der türkischen Armee auf die Politik begrenzt. Auf deutscher Seite hat die Türkei in Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) Unterstützer gefunden. Hingegen lehnen Angela Merkel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) einen Beitritt wegen der islamischen Prägung des Landes ab. Allerdings: Mit ihrer Position ist die Union bei den konservativen Parteien Europas bislang weitestgehend isoliert.

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