Amerikas gläserne Gäste

BERLIN. Fingerabdrücke und Foto werden gespeichert, Adresse und Kreditkarte, sogar das Essen im Flugzeug - wer aus Deutschland in die USA einreist, wird seit dem 1. Oktober zum gläsernen Gast. Persönlichkeitsrechte? Fehlanzeige. Und niemanden scheint‘s zu stören.

Noch immer gelten die USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das einen enormen Reiz auf Menschen in der ganzen Welt ausübt. Jährlich jetten dutzende Millionen Passagiere (darunter 1,2 Millionen Deutsche) über den großen Teich, um Geschäfte oder Urlaub zu machen, Kongresse oder Freunde zu besuchen. New York, New Orleans, San Francisco. Grand Canyon, Yosemite, Mississippi. Faszinierende Namen und Orte - deren Anblick sich Touristen und Business-Leute nun teuer erkaufen müssen: Mit der Preisgabe persönlicher Daten und der Akzeptanz von Kontrollen an Grenzen und Flughäfen, die an die erkennungsdienstliche Behandlung mutmaßlicher Verbrecher erinnert. Die verantwortlichen Politiker in Deutschland und Europa stört das wenig. Sowohl die EU-Kommission als auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) haben den Zumutungen ihren Segen gegeben, die mit dem Sicherheitsbedürfnis der Amerikaner nach dem Terrorakt vom 11. September 2001 begründet werden. Schily hat jedenfalls "keine datenschutzrechtlichen Bedenken". Das ist erstaunlich, weil die Frage der informationellen Selbstbestimmung in Zeiten der Computer-vernetzten Welt einen höheren Stellenwert einnehmen sollte als je zuvor. Doch ist, genährt von der Angst vor dem globalen Terror, genau das Gegenteil der Fall. Seit dem 1. Oktober müssen sich alle USA-Besucher bei der Einreise biometrisch vermessen lassen ("US Visit"). Sie müssen einen elektronischen Fingerabdruck abgeben sowie ein Foto von sich machen lassen. Aber das ist noch nicht alles: Ab dem 26. Oktober wird der Zugang ins gelobte Land nur noch gewährt, wenn sich der Reisende mit einem maschinenlesbaren Pass ausweisen kann. Das gilt auch für Kinder. Damit ist der Hunger der Amerikaner nach Informationen noch immer nicht gestillt: Die EU-Kommission hat dem Verlangen der USA nachgegeben, vor der Einreise auch die Buchungsdaten der Passagiere zu erfassen.Angst vor verwundetem Riesen

34 Merkmale, von Adresse, Telefonnummer oder Kreditkarte bis zur Art des Essens, das im Flugzeug bestellt wurde, müssen die Fluggesellschaften in Amerika abliefern ("Secure flight"). Mit all diesen Daten werden die Super-Computer des FBI gefüttert, die die potenziell terroristische Spreu vom ungefährlichen Weizen getrennt werden soll.Brave new world. Nun mag man ein gewisses Verständnis entwickeln für die terrorgeplagten Amerikaner und sagen: Naja, wenn‘s denn der Sicherheit dient. Man kann sich aber auch aufregen über den hysterisch anmutenden Wahn der Bush-Administration, alle Einreisende zu gläsernen Gästen zu machen. Vor allem aber sollte man fragen, was mit den gesammelten Daten geschieht. Bleiben sie auf Dauer gespeichert? Werden sie für weitere Zwecke verwendet? Die Amerikaner haben darauf noch keine Antwort gegeben, und sie sind offenbar auch nicht danach gefragt worden. Es lässt sich deshalb schwer behaupten, dass dieAmtsträger in Europa mit ihrem verschämten Schweigen den Interessen ihrer Bürger gerecht geworden sind. Auch sonst begegnen deutsche und europäische Politiker dem "großen Bruder" (big brother) mit einer bemerkenswerten Nachsicht. Proteste gegen die Festnahme und wochenlange Kasernierung völlig unschuldiger Ausländer mit arabischem Aussehen (wie mehrfach geschehen)? Woher denn. Lautstarker Widerstand gegen die Praxis von Guantanamo Bay, wo seit Jahren die internationalen Rechtsnormen mit Füßen getreten werden? Ach was. Die rot-grünen Menschenrechtler, die früher Zeter und Mordio schrien, wenn es galt, die amerikanischen Imperialisten an den Pranger zu stellen, schauen heute betreten zur Seite. Es gilt als nicht opportun, den verwundeten Riesen zu reizen, und außerdem ist man in der Regierung, was eine besondere Disziplin verlangt. So nimmt es auch nicht wunder, dass es dem Oppositionspolitiker Ernst Burgbacher (FDP) überlassen bleibt, den Sicherheitswahn der USA zu hinterfragen: "Wo bleiben die Persönlichkeitsrechte?" Ja, wo bleiben sie? Reicht es wirklich aus, wenn der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar ebenso lapidar wie folgenlos seine "große Besorgnis" über den Datentransfer zu Protokoll gibt? Genügt es, wenn der ehemalige polnische Präsident Lech Walesa gegen die Einreisepraxis in die USA protestiert (und nicht verhindern kann, dass polnische Einreisewillige zu zigtausenden ohne Begründung zurück geschickt werden)? Am vergangenen Donnerstag hat US-Justizminister John Ashcroft behauptet, es sei den USA "sehr wichtig, wie sie von den Europäern gesehen werden". Vielleicht sollte es ihm mal jemand sagen. ik/hw

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