An der Kreuzung lauert die Gefahr

TRIER. Hat Stefan B. in einer Vielzahl von Fällen Verkehrsunfälle provoziert, um bei der Versicherung zu kassieren? Dieser Frage geht die 1. Strafkammer beim Landgericht Trier in einem Mammut-Verfahren nach.

Der Anblick im Sitzungssaal ist imposant: Aktenberge, Computer, Beamer, Sachverständige, dazu eine mit Ersatzpersonal reich bestückte Richterbank. 14 vorsorglich anberaumte Verhandlungstage, vier Monate einkalkulierte Zeit für das Verfahren, Ende offen. Solcher Aufwand lässt meist auf schwere Bandenkriminalität schließen, oder auf Terrorismus. Doch dazu will der adrett wirkende Mann auf der Anklagebank nicht passen, der für seine 41 Jahre fast jugendlich aussieht. Im Waschkorb schleppt er seine Akten herein, um dann konzentriert und penibel die Zeugenvernehmung zu verfolgen - und gegebenenfalls auch mit zu gestalten. Sechs Karambolagen mit dem gleichen Auto

Stefan B. hat Zeit, sich auf die Verhandlungstage vorzubereiten. Er sitzt seit Ende März in U-Haft. Das unterstreicht die Schwere der Tatvorwürfe, die Staatsanwalt Arnold Schomer erhebt. Angeklagt sind 18 Fälle, in denen B. in und um Trier vorsätzlich Verkehrsunfälle provoziert haben soll. Die Unfälle als solche sind aktenkundig. Allein sechs Mal in gut zwei Jahren war es der selbe Lexus, in dem B. saß. Immer wieder krachte es, vor allem an "haarigen" Stellen. Am Eisenbahn-Übergang in Trier-West, am Georg-Schmitt-Platz - meist da, wo die Straßenführung Autofahrer verunsichert. Gezielt, so meint die Anklage, habe er auf das Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer gewartet und dann einen Unfall herbei geführt. Kaum waren die Fahrzeuge kollidiert, stand B. mit der Kamera da und dokumentierte das Geschehen. Anschließend, so die Staatsanwaltschaft, kassierte er bei der Versicherung des vermeintlich schuldigen Unfallgegners, erhob sogar in einzelnen Fällen Schmerzensgeldforderungen. Betrug, Körperverletzung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, dazu Falschaussage und falsche Verdächtigung: Die Liste der Anklagepunkte ist lang. Was den Vorwürfen gegen Stefan B. einiges an Gewicht verleiht, ist der Beruf des Angeklagten: Er ist ausgerechnet KFZ-Sachverständiger, hat selbst schon vor Gericht als Gutachter ausgesagt. Die Bereitschaft, es für möglich zu halten, dass jemand solche Straftaten systematisch ausführen könnte, wächst offenkundig, wenn der Betroffene "vom Fach" kommt. Nicht umsonst schaut man sich bei Serien-Brandstiftungen auch in den Reihen der Feuerwehr um. B.s Fachkompetenz hat für ihn aber auch Vorteile. Denn der Nachweis, dass es sich bei jedem einzelnen Unfall um eine Straftat handelt und nicht um den Teil einer unglaublichen Unglücks-Serie, ist schwer zu führen. Zumal dann, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger mit ihrer Fragetaktik unbarmherzig die Unsicherheiten der Zeugen aufdecken. Die Vorgänge liegen bis zu sechs Jahre zurück. Da weiß ein Unfallbeteiligter oft nicht mehr, ob er von Norden oder Süden kam, ob er nach links oder rechts abbiegen wollte. Und der Polizist, der den Unfall einst aufnahm, kennt den Vorgang nur noch aus der nachträglichen Akten-Lektüre. So bieten sich dankbare Gelegenheiten, Zweifel zu streuen. Staatsanwalt Schomer ist sich seiner Sache sicher, verweist auf die Häufung der Vorfälle, von denen einige weitere sogar der Verjährung zum Opfer gefallen sind. Die Verhängung der Untersuchungshaft, ein verlorenes Zivilverfahren um Schadenersatz: Vieles lässt vermuten, dass Stefan B. mit einem Schuldspruch rechnen muss. Bis zu zehn Jahre Haft würden ihm dann drohen. Aber mindestens bis Januar wird der Clinch im Gerichtssaal noch dauern.

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